Vier Arten, die Liebe zu vergessen
den letzten
Jahren fast immer gemacht, nur wenn er glaubte, der Gesang erkläre sich nicht
von selbst, hatte er seine eigene Stimme dazu aufgenommen.
Er erschrak, als er auf dem Weg durch den Salon Thomasâ massige
Gestalt in einem der Sessel sah, und rechnete im ersten Moment damit, dass der
ihn ansprechen würde, aber Thomas schlief, und Michael nahm leise, um ihn nicht
zu wecken, Glas und Flasche vom Boden, brachte sie in die Küche, holte eine
Decke aus dem Wandschrank in seinem Schlafzimmer und ging in den Salon, um
Thomas damit einzupacken.
Seine Geste hatte etwas Fürsorgliches, fast Zärtliches, und sein
Gefühl folgte der Bewegung. Irgendetwas an diesem Mann war erschüttert. Er
trank sich in Deckung. Vielleicht würde er im Lauf der nächsten Tage damit
herausrücken. Michael nahm sich vor, ihn nicht zu bedrängen, aber er wollte da
sein, falls Thomas den Mund aufmachen würde. Seine Gedanken konnte er nicht
lesen. Vielleicht weil es zu lange her war, dass sie Freunde gewesen waren,
oder auch weil ein Schleier aus Alkohol die Sicht vernebelte.
Bernds Gedanken hingegen hatten nichts Geheimnisvolles, er wollte
Serafina flachlegen. Auch Wagner war ein offenes Buch, er fühlte sich nicht
wichtig genug genommen. Was Serafina dachte, lag ebenfalls auf der Hand, sie
genoss Bernds Aufmerksamkeit, wollte sich ihm aber nicht an den Hals werfen. Ob
aus Rücksicht auf Michael, der seit einem Jahr und vier Monaten ihr Geliebter
war, oder weil sie Bernd als Schürzenjäger erkannte und sich als beliebiges und
jederzeit austauschbares Stück Wild belauert wusste, war Michael weder klar
noch wichtig.
~
An einem grauen Montagnachmittag im vorletzten April stand
sie vor seiner Tür, verlangte einen Kaffee und sagte, noch bevor ein normales
Gespräch in Gang gekommen war: »Eine Frau mit Stil braucht eine Affäre.«
Michael antwortete nichts, stellte ihr nur den Kaffee hin, einen
Espresso ohne Zucker, und wartete, ob sie diesen Gedanken erst noch vertiefen
oder gleich in die Tat umsetzen wollte. Sie trank den Kaffee in drei Schlucken,
stellte die Tasse ab und sprach weiter: »Und ein Mann wie du erst recht.«
Sie sah ihn an, lächelte nicht, wartete auf eine Erwiderung und
machte schlieÃlich, als Michael noch immer schwieg, eine wedelnde Gebärde mit
beiden Händen, so als müsse sie störende Gedanken verscheuchen, die vor seinem
Gesicht herumflogen. Er sagte: »Bis hierher kann ich alles nachvollziehen.«
Sie fasste sich unter den Rock, streifte ihr Höschen ab und setzte
sich auf den Tisch. »Liebe stört«, sagte sie, »eine Affäre muss ohne auskommen.
Ist das in Ordnung für dich?«
»HeiÃt das, ich soll mich auf keinen Fall in dich verlieben?«
»Ja. Schaffst du das?«
»Ich kannâs versuchen.«
Sie beugte sich vor, zog ihn zu sich und begann, seine Hose
aufzuknöpfen.
Es war unbequem, der Tisch war zu niedrig, und Michael musste in die
Knie gehen, aber sie wollte es so, und nach einer Weile war er dankbar dafür,
denn es lenkte ihn ab und hinderte ihn so daran, zu früh zu kommen. Sie genoss
es schon beim ersten Mal â sie spielte kein Theater, dafür hatte Michael ein
sicheres Gespür â, irgendwann taten ihm die Knie zu sehr weh, er hob Serafina
hoch und setzte sie auf die Küchentheke. Viel bequemer war das nicht, aber es
wirkte noch ein bisschen aufgeregter, verstohlener und verruchter so und
bereitete ihr sichtbar, hörbar und fühlbar Vergnügen.
»Du bist mein Geburtstagsgeschenk«, sagte sie hinterher. Sie saÃ
noch immer auf der Küchentheke, trank ein Glas Wasser und lieà die Fersen ans
Holz der Küchenzeile wummern.
»Alles Gute«, sagte er.
»Und du fragst jetzt bitte nicht, wie alt ich geworden bin.«
»Nicht alt.«
»Aber nichts mehr mit einer Drei vorne«, sagte sie und stellte das
Glas hinter sich ab.
Seither kam sie fast regelmäÃig montags und donnerstags immer am
Nachmittag zu ihm und probierte aus, was ihr in den Kopf gekommen war, was sie
gesehen, gehört oder gelesen hatte, vielleicht auch, was ihr an den Wochenenden
mit ihrem Mann gefehlt hatte oder fehlen würde.
Sie sprach nicht mehr von ihm, wie sie das früher manchmal getan
hatte, und sie fragte auch Michael nie nach Freundinnen oder Geliebten aus â
dieser Teil ihres jeweiligen Innenlebens war von da an tabu.
Das Ganze hatte eine fröhliche
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