Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Beruf, Land und Leben â das
Wichtige war nicht getrennt: das Bestreben und die Fähigkeit, Musik zu
erschaffen, die Menschen bewegte.
Ian hatte sich einmal als Hermes bezeichnet, den Götterboten, aber
Michael hatte ihm widersprochen: »Wenn du unser Bote wärst, dann würdest du mir
was über sie erzählen.«
»So sieht Erin das auch«, hatte Ian erwidert, »ihr seid zwei Götter,
die so tun, als wollten sie nichts voneinander, dabei wollen sie alles
voneinander. Und sie kriegen es auch.«
»Alles?«
»Die Musik. Du schreibst, sie singt.«
»Die Musik ist alles?«
»Für euch beide wohl schon.«
Vielleicht hatte Ian recht. Zumindest, was Michael betraf. Die Musik
war Seelensache, das Zarteste und Innerste und Beschützenswerteste in seinem
Leben, und alles andere konnte man tun, wie er es mit Serafina tat. Mit
bestenfalls fröhlicher Nüchternheit. Ob Erin genauso dachte? Ob sie auch eine
Vorstellung von irgendeiner Art Einssein mit ihm pflegte? Ob diese Vorstellung
sie auch von der Wirklichkeit fernhielt? Er würde es nicht erfahren.
~
Es war zu früh, um schon irgendwo Frühstück einzukaufen.
Die Boote mit den frischen Lebensmitteln wurden gerade erst auf Tronchetto
beladen, um in den nächsten Stunden ihre Touren durch die Stadt zu fahren und
von den Anlegestellen aus mit Sackkarren jeden Supermarkt, jedes Hotel und jede
Bar mit frischer Ware zu beliefern.
Michael deckte den Frühstückstisch, legte drei Hausschlüssel neben
die Teller, falls jemand vor ihm aufstehen würde und vielleicht joggen oder
spazieren gehen wollte. Dann ging er in sein Schlafzimmer und stellte sich den
Wecker auf halb acht â das waren noch fast drei Stunden â, er schloss seine
Fenster, denn jetzt wollte er nicht mehr durch ein Polizei- oder Ambulanzboot
aus dem Rest von Schlaf gerissen werden, der ihm noch blieb.
Er träumte von Bernd, der Erin unbedingt ein Lied vorsingen wollte
und nicht verstand, dass sie ihn abwehrte, bis Wagner ihn schlieÃlich
ohrfeigte, um seiner Drängelei ein Ende zu machen.
~
»Bist du wach?«, fragte Wagner. »Da ist jemand an der
Tür.« Michael hatte den Wecker überhört â es war kurz vor neun â, er griff sich
den Morgenmantel, den er üblicherweise vormittags trug, und ging nach unten. Es
war Signora Fenelli. Er hatte vergessen, dass sie diesmal am Montag kommen
wollte, weil sie Donnerstag letzter Woche auf einer Hochzeit in Treviso gewesen
war. Sie hatte, wie sie wortreich erklärte, ihren Schlüssel benutzt, jedoch
gleich gesehen, dass die Gästezimmer belegt waren, auf dem FuÃe kehrtgemacht
und sicherheitshalber an der Tür geklingelt. Sie wolle nicht stören, sagte sie,
wenn es später besser passe, komme sie eben später.
Bernd und Wagner waren schon auf und hatten sich mit Kaffee
versorgt, Thomas schlief noch, also bat Michael Signora Fenelli, einfach oben
anzufangen, dort waren nur sein Schlafzimmer, das Studio und ein Fernsehraum.
Er weckte Thomas, duschte, und eine Viertelstunde später gingen sie zur
Accademia, um dort zwar italienisch karg, aber gut zu frühstücken.
»Morgen mach ich richtiges Frühstück«, versprach Michael auf dem
Weg, »ihr könnt jetzt schon Bestellungen aufgeben«.
»Spiegelei«, sagte Bernd.
»Orangenmarmelade«, wollte Wagner.
»Wenn dich das nicht nervt, San-Daniele-Schinken und
Finocchio-Salami«, sagte Thomas.
»Nervt nicht. Wird angeschafft.«
»Kann ich hier eigentlich irgendwo ein Fahrrad leihen?«, fragte
Wagner.
»Auf der Insel sicher nicht. Vielleicht in Lido, vielleicht in
Mestre«, sagte Michael, »hier in der Stadt geht man zu Fuà oder fährt mit dem
Boot.«
»Na ja, ich kann auch joggen«, sagte Wagner, »irgendwas muss ich
machen, sonst werd ich unleidlich.«
»Es gibt Fitnessstudios, da kannst du an Geräten rumhampeln.«
»Au, da mach ich mit«, sagte Bernd.
»Nee, zu teuer«, sagte Wagner.
»Geht aufs Haus«, sagte Michael, »weil ich keinen Folterkeller zur
Verfügung stellen kann.«
»Ich jogge. Diese Studios sind doch Neppläden, denen schmeià ich
nicht mal dein Geld in den Rachen«, sagte Wagner, und Thomas schlug vor: »Das
hauen wir dann für was anderes raus.«
Bernd bot sich an, Wagners Bodyguard zu geben, er würde mit ihm laufen.
Thomas pfiff das Saxophonriff von Paul Simons You
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