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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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ätzendes
Gespöttel, und er war der Freak, der es niemandem mehr recht machen konnte,
sosehr er sich auch bemühte. Vor allem Corinna nicht, die er in feministischer
Hinsicht sogar noch beflissen zu überflügeln versuchte, seit sie sich zur
glühenden Quotenkämpferin entwickelt hatte – sie lachte ihn aus. Er war das
Mängelexemplar, der Mann, der nicht anders konnte, als die Welt zu
verunstalten, und wahlweise auch das Weichei, Muttersöhnchen, Kuscheltier ohne
Rückgrat. Je nach Stimmung oder Bedürfnis stellte sie ihn, egal, womit er auch
ankam, in die Ecke des so oder so Defizitären, im besten Falle
Bemitleidenswerten, aus der er durch keine Anpassung zu entkommen vermochte.
Und sein Sohn machte es ihr nach: Egal wovon, der Alte hatte einfach keine
Ahnung.
    Dass sie Freunden und Bekannten dennoch ein Ehe- und Familienglück
vorspielten, dass dies gelang und die anderen das Theater für bare Münze
nahmen, lag nur am Desinteresse dieser Leute. Niemand sah genauer hin, alle
waren mit der Inszenierung einverstanden, weil ohnehin damit beschäftigt, das
eigene Stück aufzuführen, in dem es darum ging, die anderen entweder neidisch
zu machen oder als moralisch zweitklassig hinzustellen.
    Hätte Wagner nicht seinen Garten gehabt, dessen Hecke ihn wie eine
Burgmauer umschloss und in dem er allein sein und sich am richtigen Platz
fühlen konnte, dann würde er schon längst mit einem saftigen Burn-out in
irgendeiner psychosomatischen Klinik Aquarellbildchen malen. Die Arbeit im Amt
überforderte ihn nicht. Das Leben zu Hause war die Qual.
    Und hier? So warm es sich einerseits anfühlte, mit den alten
Gefährten zusammen zu sein, so deutlich war er andererseits auch hier das
fünfte Rad am Wagen. Was musste Michael ihn so anpfeifen? Nimm den Rüssel aus
der Zeitung, hör mit dem Gequatsche auf, was hatte der ihn zurechtzuweisen? Und
keiner ergriff Partei für ihn.
    Nur weil Michael in einem Palast wohnte, musste er doch nicht auch
noch die Hoheit über Gesprächsthemen reklamieren. Der spielte sich auf wie Graf
Rotz, dabei war er bloß ein Schmarotzer, der sich zwischen Verkäufer und Käufer
schaltete und dafür Kohle abgriff.
    Und Bernd? Der war überhaupt nicht anwesend. Er hatte nur Augen für
die Frau und blubberte vor lauter Hormonüberflutung. Thomas war vermutlich
genauso arrogant wie Michael, er ließ es nur nicht raus. Er glotzte vor sich
hin und gab den Grübelmann und Katzenversteher und ließ andere sich um den
Fortgang der Unterhaltung sorgen.
    In den Ärger mischte sich nun auch Freude über diese schöne
Nachbarin. Es war so erholsam, einer Frau gegenüberzusitzen, die sich nicht
herablassend oder desinteressiert gab, sondern zugewandt, witzig und – ja:
fraulich. Er schämte sich ein bisschen für diesen Gedanken, aber nur ein
bisschen. Sein Ausspruch, sie erinnere ihn an Corinna, war keine Lüge gewesen,
aber er meinte nicht die Corinna, die ihn heute Morgen so nebenbei, das Telefon
am Ohr, mit einem Winken verabschiedet hatte – es war die Corinna von damals,
die strahlende, intelligente Frau, die ihm den Vorzug vor Thomas, Michael und
Bernd und damit das Gefühl, er sei etwas Besonderes, gegeben hatte. Diese
Corinna wäre auch zu Emmis Beerdigung mitgekommen. Er öffnete sein Fenster und
hörte jemanden schnarchen.
    ~
    MICHAEL war nicht müde, aber
er konnte sich nicht entscheiden, ob er noch mal zu einer letzten Kontrolle an
den Song gehen sollte (das Studio war unterm Dach, niemand würde ihn hören)
oder lieber einen seiner nächtlichen Spaziergänge machen. Er stand im Studio,
hatte das Licht nicht eingeschaltet und sah Serafina beim Ausziehen zu. Sie
ließ die Vorhänge offen, obwohl man ihr Schlafzimmerfenster auch von einem der
Häuser gegenüber aus sehen konnte, aber dort wohnten zwei alte Damen, die
längst schon schliefen und sich für den Anblick ohnehin nicht interessiert
hätten.
    Es war nicht direkt ein Striptease, den sie für ihn veranstaltete,
aber sie tat es für seine Augen, auch wenn sie nicht sicher sein konnte, ob er
hersah oder schon im Bett lag.
    Er schaltete den Computer nicht ein. Vielleicht konnte er morgen
irgendwann das Ganze noch mal anhören und dann abschicken. Gesungen hatte er
nicht auf der Aufnahme, nur die Melodie mit einem E-Piano-Sound gespielt und
den Text zur Notation geschrieben. Auf diese Weise hatte er es in

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