Vier Arten, die Liebe zu vergessen
das?«, fragte Emmi.
»Damit Sie Erin hören können, sooft Sie wollen.«
»Michael, du bist verrückt«, sagte Emmi.
»Sie werden sehen, das ist es wert. Sie ist phantastisch geworden.«
Nach einigen Minuten erklang die Musik. Bernd hatte sich inzwischen
davongemacht, Wagner saà an der Wand auf dem Boden, Michael kniete vor der
Anlage, und Thomas hatte den Stuhl erobert. Sie hörten andächtig zu, bis nach
dem vierten Lied die Tür aufging und Angela, ihre Tochter Sarah und Bernd darin
erschienen.
»Jetzt wirdâs zu eng«, sagte Michael, stoppte die CD und lieà sie per Knopfdruck herausgleiten, »Angela
erklärt Ihnen, wie das geht.«
»Die Musik ist wirklich schön«, sagte Emmi, »danke für dieses viel
zu kostbare Geschenk.«
Sie wusste, dass Michael den Satz schluckte, für sie sei nichts zu
kostbar, und lächelte ihn an. Als sie einander die Hand schüttelten, war da ein
leichter Zug zu spüren, als wolle Emmi Michael zu sich heranziehen und küssen,
aber da das nicht ging, ohne die anderen zurückzusetzen, lächelten sie einander
nur noch breiter an, und Michael legte seine Hand für einen Moment auf ihre.
DrauÃen vor dem Krankenhaus standen sie noch beisammen, rauchten und
wussten nicht so recht, was sie miteinander reden sollten, dann gingen sie
ihrer Wege und sahen einander die nächsten zwanzig Jahre nicht mehr. Und Emmi
sahen sie nie mehr.
~
Den Eintritt für die Frari-Kirche bezahlte Michael für
alle vier, während die anderen noch um die Ecke einen Cappuccino tranken. Er
wollte nicht riskieren, dass Wagner sich wieder aus Geiz absondern würde. Das
wäre zwar sein gutes Recht und sollte Michael egal sein, war es aber nicht,
denn er hatte sich zwar vorgenommen, nichts mehr in dieser Hinsicht zu
erwarten, aber insgeheim hoffte er doch noch auf einen Sinn für Schönheit, den
Wagner vielleicht in sich trug und bisher noch nicht kannte.
Aber während Bernd und Thomas erwartungsvoll und fasziniert von
einem Kunstwerk zum nächsten gingen, vom Grabmal für Canova mit seinem
pathetisch trauernden Engel zum Johannes von Donatello und zur schlichten
Grabplatte Monteverdis, schlenderte Wagner wieder ziel- und blicklos durch das
riesige Mittelschiff und schien sich für nichts zu interessieren.
Vor dem Altarbild von Tizian, dem Thomas und Bernd ein Loblied
sangen, in das Michael nur mit eingeschränkter Begeisterung einstimmte (ihm
waren die Gesten zu plakativ), stieà Wagner zu ihnen, gerade als Thomas
erklärte, dass Richard Wagner vom Anblick dieses Bildes zu seinen Meistersingern inspiriert worden sei.
»Du stehst auf Richard Wagner?«, fragte Wagner, und es klang
deutlich missbilligend, schlieÃlich war Wagner von Hitler verehrt worden und
konnte deshalb kein guter Künstler sein.
»Jeder Mensch mit Geschmack tut das«, erwiderte Thomas aggressiver,
als er eigentlich wollte.
»Das heiÃt nicht, dass auch jeder, der auf Wagner steht, Geschmack
hat«, warf Bernd ein, um den Plattitüden vorzubeugen, die jetzt unvermeidlich
kommen mussten.
Michael schaltete sich ein, um den Disput abzuwenden, und lotste sie
zur Kapelle an der Seite, wo Bellinis Madonna mit vier
Heiligen hing.
Thomas und Michael setzten sich in die dritte Reihe, Wagner blieb
weiter hinten an eine Sitzreihe gelehnt stehen, und Bernd hatte eine blonde
Frau erspäht, die allein in der Mitte der ersten Bankreihe saà und ganz in den
Anblick des Bildes versunken war. Als er den deutschen Titel ihres Reiseführers
sah, setzte er sich zu ihr und bat sie, einen Blick hineinwerfen zu dürfen.
Gleich hatte er sie von dem Bild abgelenkt und in ein Gespräch
verwickelt. Michael verspürte nicht die geringste Lust, diesem Gespräch zu
lauschen, er wusste, wie es verlaufen würde. Weghören war unmöglich in diesem
kleinen Raum, also stand er wieder auf und wandte sich zum Ausgang: »Ein
andermal vielleicht.«
»Ja«, sagte Thomas und stand ebenfalls auf.
Wagner schien auf dieses Signal nur gewartet zu haben und ging voran
nach drauÃen. Als sie die Kapelle verlieÃen, sagte Bernd gerade: »Kennen Sie
das Heilige Gespräch? Das ist vielleicht noch schöner als die Madonna hier.«
DrauÃen setzten sie sich ans Ufer des Kanals und warteten, bis Bernd
und die Frau herauskamen. Sie blieb am Portal stehen, er kam herüber und sagte:
»Ich mach mich mal selbstständig. Wir
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