Vier Arten, die Liebe zu vergessen
sehen uns später.« Und weg war er, um die
Ecke in Richtung San Tomà , wo er bestimmt das romantischere Traghetto dem
schlichteren Vaporetto vorziehen würde.
»Den sind wir los«, sagte Thomas.
»Trägt der eigentlich einen Ehering?«, fragte Wagner.
»Im Moment sicher nicht«, sagte Thomas.
»Auf zur Marmorkirche.« Michael führte die beiden Ãbriggebliebenen
über den Campo San Polo in Richtung Rialtobrücke.
Im Gedränge um den Markt und auf der Brücke, wo man kaum an den
Trauben fotografierender und sich fotografieren lassender Besucher vorbeikam,
konnte Wagner wieder nicht an sich halten und knurrte: »Was sind das bloà alles
für Leute?«
»Solche wie du«, sagte Michael und schob sich in eine Lücke, um
voranzukommen.
»Falsch«, sagte Thomas, »die freuen sich an der Stadt und meckern
nicht bloÃ.«
»Da hast du auch wieder recht.« Michael sah, dass Wagner ein Stück
zurückgefallen war, und fügte noch an: »Besser angezogen sind sie auch.«
Sofort hatte er ein schlechtes Gewissen, fand sich hinterrücks und
kleingeistig und hätte die dumme Bemerkung gern wieder geschluckt, deshalb war
er froh, dass Thomas wenigstens nicht zustimmte: »Darauf würde ich jetzt keine
Scheine wetten.«
Thomas deutete diskret auf ein paar Yankees-Mützen, kurze Hosen und
Bikinioberteile, und Michael pflichtete ihm mit einem Kopfnicken bei.
Als sie ein paar Ecken weiter aus dem dichten Besucherstrom heraus
waren und wieder ausschreiten konnten, fiel Wagners Blick auf eines der
Schaufenster, und er sagte: »Wartet mal«, ging in den Laden und kam nach
wenigen Minuten mit einem kleinen Papierrelief wieder heraus. »Das bring ich
Corinna mit.«
»Jetzt hast du auf einmal Geschmack«, sagte Thomas anerkennend, »das
ist superschön.«
»Nicht deinen zu haben heiÃt nicht, keinen zu haben«, antwortete
Wagner.
»Und ein Poet bist du auf einmal auch«, sagte Michael und war froh,
dass Wagner offenbar keinen Groll mit sich herumtrug.
Santa Maria dei Miracoli, die Marmorkirche von Pietro Lombardo,
besuchten sie wieder zu zweit, weil Wagner seine Mailbox abhören wollte. Sie
waren froh darüber. Desinteresse ist Gift für Schönheit. So wie Gerede jede
Musik zerstören kann, macht stumpfer Blick die Kunst banal.
Michael führte sie zum Biennale-Gelände, wo sie sich zuerst die
Pavillons ansahen und dann in einer Trattoria an der Via Garibaldi etwas aÃen.
Danach schlenderten sie am Ufer entlang nach San Marco zurück, über San Stefano
und die Holzbrücke nach Zattere und dort wieder am Wasser entlang nach Hause.
»Wir geben uns jetzt das Altherrenvergnügen«, sagte Thomas, »ich
jedenfalls.«
»Mittagschlaf?«, fragte Michael.
»Genau das. Bis zum Abwinken. Und heut Abend lad ich euch zum Essen
ein.«
»Ich koch auch, wenn ihr wollt. Mach ich gern.«
»Machst du auch gut«, sagte Thomas, »aber ich will jetzt mal der
Spendator sein.«
»Du bist auch ein Poet«, sagte Wagner. »Spendator klingt gut.«
»Il spendattore famoso«, sagte Thomas.
»Con la Brieftasche immensa«, ergänzte Michael.
»HeiÃt Borsa, oder?«, fragte Thomas.
»Lern ich noch Italienisch«, sagte Wagner, »super.«
~
Nach einer halben Stunde, in der Michael nicht einschlief,
weil er über seine Gäste nachdachte, stand er wieder auf und ging nach oben in
sein Studio, um sich dort am Computer die Onlineausgaben deutscher Zeitungen
anzusehen. Aber er konnte sich nicht konzentrieren, weil die anderen seinen
Kopf bevölkerten, darin lärmten und durcheinanderredeten und nicht zu bremsen
waren.
Warb Wagner mit seinem ständigen Gemaule um Aufmerksamkeit, oder
wollte er sich den anderen als überlegen präsentieren? Und glaubte er wirklich
diesen spieÃigen altlinken Quark, den er dauernd absonderte? Gab es niemanden
in seiner Umgebung, der ihn wie Bernd mal darauf hinwies, dass der Begriff
»Konsum« ganz generell den Kauf von Dingen bezeichnete und nicht nur den Kauf
von Dingen, die Wagner nicht haben wollte? Sein garantiert sündteures Fahrrad
hielt er ganz gewiss für nachhaltig, das iPad seines Sohnes nicht. Und wie
konnte ein Mensch, der früher Musik gemacht hatte, so ignorant gegenüber
Malerei und Architektur sein? Die Künste verschränkten sich doch, sie wirkten
doch ineinander. Thomas und Bernd
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