Vier Arten, die Liebe zu vergessen
wussten das und hatten ein Empfinden dafür,
wieso war Wagner so stumpf?
Und wie konnte sich Bernd, der erwachsene Mann, benehmen wie ein
Halbwüchsiger? Er musste sich doch längst langweilen mit seinen Eroberungen.
One-Night-Stands waren doch üblicherweise keine gelungenen erotischen
Erlebnisse. Rein, raus, warâs gut für dich, ich ruf dich an, und tschüss. Das
war doch etwas für Knaben und nicht für Männer. Zumal für solche mit einer
Familie, die sie zerstören würden, wenn ihr Verhalten ans Licht käme. Bernd
wirkte ganz zufrieden, aber ein so gehetzter Mann konnte doch nicht zufrieden
sein. Ein Rätsel.
Und Thomas mit seinen Abstürzen jeden Abend, wovor brachte der sich
in Sicherheit? Nur vor den Gespenstern des an ihm begangenen Liebesverrats? Er
war ein Lebemann, ein Ãsthet, ein Hedonist, zu ihm passte diese genussferne
Dröhnung überhaupt nicht.
Und was war das, was sie gerade alle vier miteinander erlebten? Eine
Wiederauflage ihrer alten Freundschaft? Oder eher ein trotziges Vorzeigen des
Erreichten in der Hoffnung auf Respekt? Nein, das war es nicht. Bis auf Wagner
hielten sich alle zurück. Bernd zeigte überhaupt nichts vor, Thomas auÃer
seinen dicken Zigarren und guten Klamotten auch nichts â sie gaben nicht an und
wollten keinen Applaus. Bernd und Thomas wirkten sogar ein bisschen
schiffbrüchig, ausgesetzt, als müssten sie improvisieren, weil sie das, was
ihnen sonst Sicherheit gab, zu Hause gelassen hatten.
Wagner wirkte nicht schiffbrüchig. Und Bernd schien nichts davon zu
wissen. Thomas allerdings machte den Eindruck, als ahne er, dass er im eigenen
Leben irgendwo unterwegs verloren gegangen war.
Michael gab es auf, den Sinn der Texte auf dem Bildschirm erfassen
zu wollen, und ging nach unten, um sich einen Espresso zu machen.
In der Küche saà Bernd mit der Frau aus der Frari-Kirche, beide
frisch geduscht mit noch nassen Haaren â auf Bernds Gesicht lag ein
postorgasmisches Katergrinsen, und in dem der Frau zeigte sich Unsicherheit
angesichts der gerunzelten Stirn, die Michael nicht schnell genug wieder
glätten konnte.
»Das ist Sabine«, sagte Bernd, »und das ist Michael.«
»Hallo«, sagte Michael und disponierte blitzschnell um, »ich will
nur ein Glas Wasser.«
Die Frau tat ihm leid, sie sah sympathisch aus, und er hätte gern
seiner ersten verärgerten Reaktion etwas Freundlicheres entgegengesetzt, aber
es gelang ihm nicht. Ihm fiel kein Satz ein, den er hätte sagen können. Bernds
Ãbergriff auf ihre gemeinsame Privatsphäre machte ihn so zornig, dass er
schwieg und sich beeilte, mit einem Glas Leitungswasser in der Hand wieder aus
der Küche zu verschwinden.
Er ging nach unten und nach drauÃen, um bei Signora Brewer
vorbeizuschauen, und wollte gerade die Tür ins Schloss ziehen, als Serafina
herankam und fragte, ob er noch etwas Kaffee für sie habe. Sie sei im Endspurt
und vielleicht in zwei, drei Stunden fertig, den Weg zum Billa wolle sie sich
noch einmal sparen, wenn das für ihn okay sei.
»Natürlich«, sagte er, öffnete die Tür und hasste sich gleichzeitig
für das, was er jetzt tat, denn er lieà es zu, dass Serafina mit ihm nach oben
kam und Bernd in der Küche mit dieser anderen Frau sah.
Sie ging vor ihm, deshalb sah er ihr Gesicht nicht, aber er wusste,
dass sich darauf für einen winzigen Moment Enttäuschung und Demütigung zeigen
mussten. Der Mann, der ihr heute Vormittag noch den Hof gemacht hatte, lümmelte
hier mit einer vom Wegrand gepflückten Tussi herum, und obwohl ihr nicht für
eine Sekunde in den Sinn gekommen war, Bernds Avancen nachzugeben, traf die
Missachtung sie doch, die der Anblick dieses satten Raubtiers mit den Resten
seiner dann eben anderswo erjagten Mahlzeit in sich trug.
Sie lieà sich nichts anmerken. Ihre Stimme klang fröhlich wie immer,
als sie Bernd und die Frau begrüÃte, den Kaffee in Empfang nahm und sich
schnell wieder verabschiedete. Sie sprach jedoch nur Französisch.
Michael schämte sich. Er hatte dem Impuls nachgegeben, um Bernd zu
blamieren, aber er hatte damit nur Serafina wehgetan. Er tat so, als habe er
keine Ahnung, wie sie sich fühlte, und sie tat so, als glaube sie ihm das.
~
Diesmal blieb er, nachdem er seine Einkäufe abgeliefert
hatte, noch ein paar Minuten bei Signora Brewer, gab vor, sich für ihre
Familienverhältnisse zu interessieren
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