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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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weich), den er
überzog, um sich wie Erin ans Fenster zu stellen. Aschenbecher sah er keinen im
Zimmer, also benutzte er das kleine Schälchen für den Kandiszucker, den er
nicht gebraucht hatte und auf die Untertasse schüttete.
    Es fühlte sich eigenartig unspektakulär an, mit Erin zusammen zu
sein. Nach all den jahrelangen Phantasien, in denen ihre Gegenwart immer mit
höchster Aufregung oder zumindest Intensität, Wachheit oder Überschwang
verbunden gewesen war, musste das eigentlich eine Enttäuschung sein, aber so
empfand er es nicht. Was er fühlte, war Erleichterung. Als wäre er einen
jahrelangen Krampf endlich losgeworden, als erhielte er eine Art von
Beweglichkeit zurück, deren befreiendes Fließen oder Schwingen oder Gleiten er
schon beinah vergessen hatte.
    Das Badezimmer war umwerfend schön. Alles weiß, außer den Armaturen,
dem Spiegel und der Glastür der gemauerten Duschkabine, alles in Porzellan,
nichts protzig oder kitschig, jeder Körper, jedes Ding von stolzer Eigenart und
in guter Proportion zu allem anderen. Der Raum war groß, fast quadratisch und hatte
ein Fenster mit Klarglas und weißen Vorhängen zum Strand.
    Ein graues und ein rostrotes Handtuch lagen auf dem Rand der
Badewanne für ihn bereit, ein leerer Zahnputzbecher stand auf dem Wandbord
unterm Spiegel, und ein freier Haken an der Wand wartete auf seinen Bademantel,
neben zwei anderen, an denen ebenso weiße, ebenso lange und ebenso weiche
Bademäntel hingen.
    Du riechst gut, hatte sie gesagt. Daran dachte er, als er nach dem
Duschen und Abtrocknen sein Rasierwasser auftrug. Er hängte seine Handtücher an
den auch dafür frei gehaltenen Haken neben die von Erin und Megan, blassgelb,
graugrün, stahlblau und blassorange – die Farben erinnerten ihn an seine Bilder
in Venedig, so mild und weich, wie sie an ihren Rändern ins Weiß der Wände
überzufließen schienen.
    Als er aus dem Badezimmer ging und einen letzten Blick hineinwarf,
wusste er, was ihn hieran so betörte: Das war nicht nur guter Geschmack, das
war Seele.
    Megan hatte ein großes Frühstück fertig, als er zu ihr in die Küche
kam. Spiegeleier, Speck (den er ablehnte), gebratene Tomaten, gebackene Bohnen,
Marmelade, Käse, Paté (von der er nichts nahm) und Cappuccino. Die Maschine war
dieselbe wie bei ihm – vielleicht hatte Ian sie mitgebracht –, die normale
Gaggia, die in nahezu jedem italienischen Haushalt steht.
    Megan hatte ein Tablett für Erin und Ian gerichtet, Michael nahm es
und ging damit ins große Zimmer. Alles für Erin stellte er auf das Tischchen
beim Sofa, dann ging er zu Ian, der nach wie vor im Sessel saß, und legte ihm
das Tablett vorsichtig auf die Knie. Ian sah ihn mit einem kurzen Blick an, als
wisse er nicht, ob er diesen Übergriff dulden solle, dann nahm er die
Kaffeetasse und hob sie zum Mund.
    Â»Okay?«, fragte Michael.
    Ian schüttelte stumm den Kopf. Er sah in das mittlerweile erloschene
Feuer, das heißt auf die Asche im Kamin.
    Â»Wegnehmen?«
    Ian nickte, und Michael nahm das Tablett und trug es zurück in die
Küche. Erin, die diese kleine Kommunikation aufmerksam verfolgt hatte, lächelte
ihm zu und nickte, als wolle sie sagen: Das hast du gut gemacht.
    Er teilte sich Ians Spiegeleier mit Megan, sie eines, er eines, den
Speck nahm sie, dafür bekam er die Tomaten.
    Â»Die neuen Songs sind sehr schön«, sagte sie.
    Â»Habt ihr sie schon aufgenommen?«
    Â»Wir proben sie gerade. Wenn das mit Ian nicht passiert wäre, hätten
wir sie vielleicht schon aufgenommen, aber jetzt verschiebt sich alles. Keine
Ahnung, wie lange.«
    Â»Und der Produzent? Rick Rubin? Sitzt der jetzt im Studio rum und
wartet auf euch?«
    Â»Nein. Wir wollen mit den fertigen Takes zu ihm fliegen und dann
sehen, was er für Änderungen vorschlägt.«
    Das war sehr ungewöhnlich. Rubin musste großen Respekt vor Erin
haben, dass er seinen Einfluss erst so spät anbieten wollte. Von solch einem
Vorgehen hatte Michael noch nie gehört.
    Â»Hast du ihn schon kennengelernt?«, fragte er.
    Â»Ja«, sagte Megan, »guter Mann. Kein giftiges Ego.«
    Â»Meinst du, Erin hätte gern noch einen Kaffee?«
    Megan lächelte. Sie lächelte nur und sagte nichts.
    Â»Was?«
    Â»Wenn du ihn bringst, vielleicht schon«, sagte Megan und griff nach
der Kaffeedose. Sie ging genauso geschickt und

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