Vier Arten, die Liebe zu vergessen
anders verlaufen, aber Wagner war sich sicher, dass es
stimmte: Sie hatten alle vier ein Verhältnis zu Michael und keines zu den
anderen. Nur über ihn verliefen die Drähte ihrer Verbindung, nur er war der
Freund aller, nur wenn er dabei war, konnten sie auch einander für Freunde
halten.
Wagner stand noch eine Zeit lang am Fenster, in der Hoffnung, die
Nachtigall käme wieder zurück, aber sie blieb verschwunden. SchlieÃlich zog er
seine Joggingsachen an, steckte den Hausschlüssel ein, ging nach oben in die
Küche, trank einen Schluck Leitungswasser und lief dann los. Jetzt würde er die
Stadt für sich haben und überall durchkommen, ohne auf der Stelle zu treten. Es
war noch nicht einmal richtig hell.
Just in dem Moment, als er das Haus verlassen hatte, kam die
Nachtigall zurück, aber er hörte sie nicht mehr, denn in den Ohrstöpseln seines
alten iPods erklangen schon die leiernden Sequenzen von Steve Reichs Musik, in
denen er seinen Laufrhythmus suchte und nach dem Ãberqueren der ersten kleinen
Brücke auch fand.
~
BERND war damit beschäftigt,
seinen schmerzenden Arm zu sich heranzuziehen, ohne Sabine zu wecken. Er musste
vorsichtig sein und ihren Kopf mit der freien Hand anheben. Es gelang ihm
schlieÃlich, war aber ein kleines Kunststück.
Er hatte auf dem Rücken gelegen und deshalb schlecht geträumt.
Irgendetwas mit Angst und Lähmung. Er durfte einfach nicht auf dem Rücken
einschlafen, das vertrug er nicht.
Irgendein Vogel zwitscherte drauÃen â eigentlich war es ein
ziemlicher Lärm, den er veranstaltete. Bernd stand vorsichtig auf und schloss
das Fenster. Von irgendwo aus dem Haus hörte er das Wummern einer Tür,
vielleicht war es die Haustür, vielleicht auch die von Wagner oder Thomas.
Dreimal an einem Tag. Das hatte er schon lang nicht mehr geschafft.
Diese biegsame Sabine aus Hamburg war ein echtes Lebenselixier. Nicht nur dass
sie einen wundervollen Hintern und niedliche kleine Mädchenbrüste hatte, sie
war auch fordernd und frech und kannte sich aus â genau das, was er mal wieder
brauchte.
Schade, dass sie heute schon weiterzog â ihr Flug ging am späten
Vormittag nach Rom, wo sie wie hier Locations für einen Fernsehfilm über
Restaurateure recherchieren würde. Er hätte es gut noch einen Tag mit ihr
ausgehalten. Auch eine Woche.
Allerdings war sie wohl kurz davor, ihr schlechtes Gewissen darüber,
dass sie ihren Freund betrog, auszubreiten. Sie hatte schon auf dem Weg hierher
die ersten untrüglichen Anzeichen einer bevorstehenden moralischen Melancholie
an den Tag gelegt, geseufzt, minutenlang ins Leere gestarrt, ihn dann mit einer
Mischung aus Tapferkeit und Schmerz angesehen, die nichts Gutes erwarten lieÃ.
Wenn er nicht aufpasste, würde sie ihm beim Frühstück was vorheulen und ihn mit
Ausführungen darüber belästigen, was für ein guter Kerl ihr Freund in
Wirklichkeit sei, dass sie ihn gar nicht verdient habe, wie sehr sie sich
schäme und wie sehr sie ihn noch immer liebe â sie würde sich selbst eine Reue
einreden, die sie vielleicht nicht empfand, aber glaubte, empfinden zu müssen.
Und von ihm würde sie erwarten, dass er ihr irgendeine Art von Absolution
verschaffte. Darauf konnte sie lange warten. Beim ersten Anzeichen von Greinen
hätte er einen dringenden Termin.
Seine Telefonnummer, zumindest die echte, würde er ihr natürlich
nicht geben, und ihre konnte er, sobald sie im Flugzeug saÃ, wegwerfen. Sie
glaubte, er wohne in Nürnberg und heiÃe Kelling. Bernd Kelling. Klang
eigentlich nicht schlecht. Disziplin musste sein. Sie war das A und O. Ohne
Disziplin kam man in Teufels Küche.
~
THOMAS war vor Stunden schon
von dem Gejauchze und Gestöhne nebenan aufgewacht, hatte sich für einen kurzen
Moment noch in seinem Traum geglaubt, inmitten einer Orgie, bei der sie alle
vier in der Loge eines leeren Theaters mit Corinna, Serafina, der Frau, die
Michael abgeholt hatte, und dieser blonden aus der Frari-Kirche zugange gewesen
waren. Es hatte sich einerseits groÃartig angefühlt, der Anblick dieser schönen
Frauen bei ihrem enthemmten Treiben war so aufregend wie das Gefühl in seinem
eigenen Körper, aber dieses Gefühl blieb stehen â es steigerte sich nicht â,
und im Anblick lag mehr und mehr etwas Vergiftetes, Verzweifeltes, das ihm
Angst machte und von dem er erst nach und nach verstand: Es war
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