Vier Arten, die Liebe zu vergessen
in der
Lage sein wird, sich Dir zu eröffnen, dann wird er das tun. Wenn nicht, dann
hast Du eben weiterhin diesen fernen Verbündeten, der Dir sein Leben und Talent
widmet, ohne sich Dir anders als das Lied der Stimme zu nähern.
Wie ich das erkannt habe? Im Leuchten seiner
Augen, als er mir Dein erstes Album schenkte. Seither weià ich es, und seither
glaube ich auch, ihn immer zu erkennen, wenn ich Deine Musik höre. Er ist ein
besonderer Mensch, so wie Du, er verdient es, dass man auch seine
unverständlichen Entscheidungen respektiert.
Liebe Erin, ich weià nicht, ob ich Dir diesen
Brief nun schicken werde oder ihn einfach zu meinen Unterlagen gebe und darauf
vertraue, dass meine liebe Angela ihn Dir überreicht, wenn es so weit sein wird
und Du mir die letzte Ehre erweist. Es wird eine Ehre für mich sein, denn Deine
Kunst und Michaels Beitrag dazu haben mich immer sehr stolz gemacht.
Sláinte, Deine Emmi Buchleitner.
Michael hatte nicht gemerkt, dass Erin in den Raum gekommen war.
Erst als er ihre Hand sah, die den Brief vorsichtig von seinem Knie nahm,
zusammenfaltete und wieder in den Umschlag steckte, blickte er auf und in ihre
Augen.
»Ich hätte das respektiert«, sagte sie, »tut mir leid, dass es
anders gekommen ist.«
Er schüttelte nur den Kopf. Dann wandte er schnell die Augen ab, es
war ihm unmöglich, sie weiterhin anzusehen â er fühlte sich verraten und blamiert,
aber gleichzeitig auch erleichtert wie ein Sünder, der endlich gestehen darf.
»Stimmt das?«, fragte Erin jetzt leise. »Das mit der
Zerbrechlichkeit?«
»Ja«, sagte er, »so hab ichâs mir jedenfalls immer erklärt.«
»HeiÃt das, du weiÃt gar nicht so genau, wieso du dich nie gemeldet
hast?«
»Jetzt kommt es mir so vor, ja.«
»Kannst du dir vorstellen, dass â¦Â« Sie unterbrach sich, weil aus
Ians Richtung ein Schluchzen kam. Er hatte die iPod-Kopfhörer in den Ohren und
weinte. Die Tränen liefen ihm als stetiges Rinnsal übers Gesicht. Er machte
keine Bewegung, saà nur da und weinte.
Michael sah, dass Erin impulsiv zu ihm hingehen wollte, um ihn in
den Arm zu nehmen oder sonst etwas Tröstendes zu tun, deshalb fasste er sie,
ohne darüber nachzudenken, am Arm und hielt sie davon ab. Er schüttelte wieder
den Kopf. Ian wollte allein sein.
Zuerst sah ihn Erin fast ärgerlich an, sie schien es nicht zu mögen,
wenn man in die Autonomie ihrer Bewegungen eingriff, aber dann änderte sich ihr
Ausdruck, sie nahm hin, dass hier ein Mann auf die Männerregeln achtete,
Michael wusste, was Ian brauchte. Sie verlieà leise den Raum.
~
Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte sich der Himmel
bewölkt, und in der Nacht begann es heftig zu regnen, die Schauer prasselten gegen
die Fensterscheiben und lieÃen das Kaminfeuer auf einmal wie etwas Notwendiges
erscheinen, nicht mehr wie den leeren Luxus einer hübschen, aber nutzlosen
Verzierung.
Ians Tränen waren irgendwann versiegt, aber die Musik lief weiter.
Er trank hin und wieder von dem Wasser, das neben ihm stand. Das Zwitschern aus
seinen Kopfhörern mischte sich freundlich mit dem Knistern und Knacken des
brennenden Holzes im Kamin.
Michael war wieder eingeschlafen, als er Ians Hand an seiner
Schulter spürte. »Können wir tauschen?«, fragte Ian. »Ich bin müde.«
»Du aufs Sofa, ich in den Sessel?«
»Genau.«
Michael stand auf, und Ian legte sich aufs Sofa. Bald hörte Michael
ihn schnarchen. Es war kurz vor drei Uhr, der Regen hatte nachgelassen und
hörte bald danach ganz auf.
Als Megan nicht lange nach vier leise hereinkam, lächelte sie beim
Anblick der vertauschten Plätze und des tief und fest schlafenden (und noch
immer schnarchenden) Ian.
»Wir machen das gut, oder?«, sagte sie leise zu Michael, der nickte
und aufstand, ihr das Tablett mit Tee abnahm und es auf den kleinen Tisch neben
dem Sessel stellte.
»Er auch«, sagte er mit einem Blick zu Ian, »morgen wird er was
frühstücken.«
»Und duschen«, sagte Megan, »schlaf gut. Wir sind auf dem Weg.«
»Ja«, sagte Michael, ging nach oben in sein Zimmer und fiel ins
Bett, nachdem er es gerade noch geschafft hatte, sich die Kleider vom Leib zu
streifen.
~
Es war wieder Erin, die ihn weckte, wieder mit Tee und
Toast, und wieder blieb sie für eine Weile am offenen Fenster stehen und
schaute aufs Meer hinaus.
»Er hat
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