Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
brichst du dir nicht so schnell das Genick.«
»He!«, blaffte Lena.
»Und wie hol ich damit ein Auto ein?«, fragte ich.
»Es gibt kein nächstes Mal«, sagte Selina und brachte uns damit alle zum Verstummen.
»Wo warst du?«, fragte Maik grob.
»Ich musste allein sein.«
Lena sah sie kurz an und dann mich. Hatte sie mich belogen, was Christoph anbelangte? Ich zuckte mit den Schultern.
»Mit der Asche?«, knurrte Maik.
»Ja.«
»Und Bescheid geben konntest du nicht?«
»Tut mir leid«, sagte sie, aber nichts von Lena und mir.
»Hoffentlich.«
Die Schlafsäcke hatten sich mit Regen vollgesogen, und der Boden war unangenehm feucht. Keiner wollte sich hier mehr hinlegen.
Wir packten zusammen und fuhren weiter, bis wir einen Heuschober aus dunklem Holz entdeckten. Er stand auf offenem Feld, die nächste Siedlung war ein Stück entfernt. Wir rollten hinein und leuchteten das Innere mit dem Scheinwerfer des Rollers aus. Es gab nichts außer aufgetürmtem Heu. Ich stellte den Weckruf meines Handys auf sechs Uhr, dann wären wir weg, bevor der Bauer käme. Drei Stunden Schlaf waren besser als nichts.
Wir suchten uns passende Plätze und rutschten das Heu zurecht, dann löschte Lena das Licht. Mit einem Schlag war es finster. Durch die Ritzen zwischen den Wandbrettern drang eine winzige Ahnung von Licht, viel zu wenig, um etwas zu sehen.
»Sagt was«, forderte Lena, damit sie sich orientieren konnte.
Maik rief: »Was.«
Vorsichtige Schritte schabten über den Boden, dann raschelte das Heu neben mir. Maik hatte gerufen, aber sie hatte mich gefunden. Als sie ruhig lag, herrschte beinahe Stille, nur leise konnte ich die anderen atmen hören. Und dann berührte mich Lenas Hand am Ellbogen. Ich drehte mich auf die Seite und schob meine Hand zwischen ihre tastenden Finger.
»Gute Nacht«, sagte ich.
»Nacht«, sagten die anderen.
Lenas Daumen strich über meinen Handrücken, bis ich eingeschlafen war. Ohne Zudecke war es kühl.
Viel zu bald weckte uns das Handy. Die Morgenkälte war mir unter die Haut gekrochen, ich zitterte und fühlte mich gerädert. Irgendwann in der Nacht hatten unsere Hände sich verloren.
Wir kämpften uns hoch, schimpften vor uns hin und rieben den Schlaf aus den Augen. Lena zog mir einen Halm aus dem Haar, und Selina bat Maik, ihr Haar nach Heu abzusuchen.
Packen mussten wir nichts, und so brachen wir nach zehn Minuten auf. Der Himmel war ohne Wolken und die Luft frisch. Wir fuhren bis zu einem kleinen Rastplatz, an dem ein Wanderweg die Straße kreuzte. Dort rollten wir die müffelnden Schlafsäcke aus und breiteten sie über die Steintische und Banklehnen, damit sie in der Sonne trockneten.
Ich sehnte mich nach einer warmen Dusche, aber wir hatten heute noch keinen Campingplatz gesehen. Ich putzte die Zähne, um den Geschmack nach Nacht loszuwerden, und spülte den Mund sparsam mit Trinkwasser aus. Dann packten wir das Essen zum Kanister auf den letzten freien Tisch. Die Sonne war noch schwach, ich rieb mir die Arme und Beine und hüpfte auf der Stelle. Maik hüpfte höher und schneller, und die Mädchen verschränkten die Arme.
»Was ist mit deinem Bein?«, fragte Selina.
»Besser«, sagte Maik.
»Geht schon«, sagte ich.
»Christoph hat mich gebeten, das niemandem zu erzählen«, begann Lena, ohne dass irgendwer sie darauf angesprochen hatte. »Er hat mich sogar schwören lassen, aber das war egal, ein Versprechen ist ein Versprechen. Wenn ich es euch erzähle, bleibt es unter uns?«
»Ja«, sagten wir alle, ohne nachzudenken.
32
Die Silvesternacht war mit Temperaturen um den Gefrierpunkt halbwegs mild und Lena seit über einer Stunde auf dem Heimweg. Sie war in Augsburg gewesen, was ihre Mutter verboten hatte, und wollte noch nicht heim, darum fuhr sie Umwege durch jedes mögliche Siedlungsgebiet der umliegenden Dörfer und probierte Querstraßen aus, die sie nicht kannte. Sie war in Augsburg gewesen, weil sie das Leben in der Stadt vermisste, die Menschenmassen und vielen Lichter in der Nacht, und weil München zu weit weg war. Es war weit nach drei Uhr. Sie würde sowieso Ärger bekommen, und dafür sollte sich ihre Mutter ruhig noch ein wenig Sorgen machen. Schließlich tat sie das so gern, sich sorgen.
Die schmalen Straßen der Wohngebiete waren meist verlassen, nur noch selten stolperten Partyheimkehrer an ihnen entlang, und dann bemerkte sie einen Jungen, der den Gehsteig kehrte. Um diese Zeit. Ohne Handschuhe und Mütze schob er alle Überreste der
Weitere Kostenlose Bücher