Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
Moment schien sie zu passen. Das ganze Gespräch lief seltsam. Und die Antwort schien alles zu erklären, auch wenn ich es selbst nicht ganz verstand.
»Ich war«, korrigierte sie.
»Für mich bist du es immer noch.«
»Ach ja?« Sie stieß ein bitteres Lachen aus. »Und wie mache ich das? Ich rede und schlafe mit einem Haufen Asche? Ich lasse mich von ihr halten, lache mit ihr und kuschel mich im Kino an sie?«
»Nein.«
»Was soll das dann?«
»Für Freundinnen gibt es kein Wort wie Witwe.«
Sie starrte mich an, und ich starrte zurück. In der Dunkelheit konnte ich ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen.
»Du warst immer der einzige von Christophs Freunden, der mir was bedeutet hat«, sagte sie leise. »Seit damals in der Kiesgrube.«
»Du auch«, sagte ich, obwohl das überhaupt keinen Sinn ergab. Sie verstand es trotzdem.
»Es war schrecklich, dich mit ihr zu hören.«
»Ich …«
»Hast du dich verknallt?«
Ich zögerte, dann sagte ich: »Ich weiß nicht«, weil ich Selina nicht verletzen wollte, obwohl ich nicht wusste, wie ich das anstellen sollte. Ich wusste auch nicht, was Lenas Nein zu Christoph nun für mich hieß. »Darum ging es gar nicht. Wir waren nur allein.«
»Ich bin auch allein.«
Vorsichtig strich ich ihr das nasse Haar aus der Stirn. »Ich weiß.«
»Und treib ich’s deshalb mit Maik?«
»Ich hoffe nicht.«
»Ich darf also nicht?«
»Willst du denn?«
»Darum geht es hier nicht!«
»Ja, worum denn dann?«
»Du bist ein Idiot!«
Ja, ich war ein Idiot, ich hatte wirklich nicht die geringste Ahnung, worauf sie hinauswollte. »Mag sein. Aber wir haben’s gar nicht richtig getrieben. Wir hatten kein Gummi.«
»Was?«
»Hast du etwa eins dabei?« Ich hatte nur auf den Friedhof gewollt.
»Nee.« Sie klang halb belustigt, halb erleichtert.
Wieder schwiegen wir. Die Tannennadeln waren so dicht, dass kaum Regen hindurchdrang. Dann hörte es auf zu regnen, nur von den Zweigen fielen noch letzte Tropfen um uns zu Boden.
»Und der Typ ist nicht weitergefahren?«, fragte ich nach einer Weile, weil ich die Stille nicht ertrug und nicht das Reden über Lena.
»Doch.«
»Falsche Richtung?«
»Nein. Ich wollte raus. Du hattest geschrien, ich sollte bleiben.«
»Und …?«
»Ich wollte nicht mehr weiter, und als ich hier stand, konnte ich doch nicht zurück. Ich wusste nicht, was ich wollte, wohin ich soll. Es fing an zu regnen, und zum ersten Mal hatte ich Christoph für mich allein. Ich hab mich einfach hingesetzt und ihn gehalten. Mit ihm geredet. Bescheuert, oder?«
»Nein. Vorhin wollte ich mit ihm in den Wald, aber ich hatte zu viel Angst, ihn zu verschütten.«
Sie sah auf den Beutel in ihrem Schoß und fuhr mit der Hand über das Plastik. »Nein, er soll ans Meer.«
Ich nickte und stand auf.
Sie blieb sitzen. »Warum hat dir eigentlich Maik sein Motorrad geliehen?«
»Hat er nicht. Ich konnte ihn nicht fragen, er sucht dich in der anderen Richtung. Ich hatte Angst, dass der Kerl dir was tut, und da konnte ich nicht warten.«
»Danke.«
»Schon gut. Ich hab nicht nachgedacht, ich habe getrunken.«
»Unsinn.« Sie lächelte. »Du denkst doch immer nach.«
»Ich werde das schon noch lernen.« Ich hielt ihr die Hand hin. »Komm mit zurück.«
Sie stand auf, ohne sie zu ergreifen. »Ich weiß nicht, ob ich bei dir hinten drauf will.«
»Auf keinen Fall. Ich bin inzwischen viel zu nüchtern, um zu fahren.«
Wir steckten die Asche in die Satteltaschen, und ich schob das Motorrad zurück, während Selina neben mir herlief. Am Himmel waren wieder Sterne zu sehen.
»Du Arschloch!«, kläffte Maik, als er mich eine Stunde später kommen sah. Und als das Motorrad ordentlich aufgebockt war, stieß er mich mit beiden Händen gegen die Brust.
Ich stolperte zwei Schritte zurück. »Spinnst du?«
Er stieß mich wieder. »Was nimmst du einfach meine Karre?«
»Du warst nicht da!« Ich schlug seine Arme weg.
»Ja und?«, schrie jetzt Lena. »Du kannst nicht fahren, du hättest sterben können!«
»Unsinn.«
»Doch!« Maiks Hände trafen mich wieder an derselben Stelle. Nicht fest, aber es nervte. »Das hätte niemandem was gebracht!«
»Aber ich bin nicht tot.« Ich schubste ihn.
»Reiner Zufall!«
»Ja und? Am Leben ist am Leben! Und dein blödes Ding hat keinen Kratzer!« Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen, und falls er morgen etwas fand, würde ich es auf seinen Unfall schieben.
Er spuckte aus. »Das nächste Mal nimmst du den Roller. Der ist langsamer, da
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