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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Rennfahrern, als wäre uns jemand auf den Fersen.
    Ich drückte mich an Lena, legte meine Hände fest auf ihre Hüften und Beine, wenn Maik und Selina vorn fuhren und uns nicht sahen. Zärtlich strich ich mit den Daumen über sie, um zu zeigen, dass ich mich nicht nur festhielt. Es war für den Moment, ich wusste nicht, was zwischen uns war. Noch immer liebte sie Christoph, dagegen kam ich nicht an. Nur in der Dunkelheit hatte es letzte Nacht etwas bedeutet. Jetzt schien die Sonne, und bis zum Meer gab es nur noch Christoph.
    Ich wollte nicht daran denken, wie oft ich über die mittelprächtigen Witze seines Vaters gelacht hatte – eigentlich waren sie nicht einmal mittelprächtig gewesen, sondern billig und bärtig. Ich wollte auch nicht daran denken, dass er mir die Hand väterlich auf die Schulter gelegt hatte, als wüsste er, was es bedeutete, väterlich zu sein.
    Ich wollte nicht daran denken, wie seine Mutter mir bei jedem Besuch Kuchen vom Konditor angeboten hatte, stets zwei Stücke auf Porzellan mit schmalem Goldrand und silbern glänzender Kuchengabel. Nicht daran, wie sie sich liebevoll um ihre sauber abgegrenzten Blumenbeete gekümmert hatte und jede Blüte mit lateinischem Namen kannte, sie mit einer Sorgfalt vor Ungeziefer und Krankheiten schützte, wie sie es hätte bei Christoph tun sollen. Wie sie am Wochenende ihr dämliches Reh poliert hatte.
    Wann hatte er sich zum ersten Mal zwischen sie und seinen Vater gestellt? Mit sechzehn? Fünfzehn? Zwölf? Oder noch jünger?
    Hatte er nicht schon immer irgendwo Blutergüsse gehabt?
    Ich wollte mich nicht fragen, wo der berühmte Mutterinstinkt seiner Mutter geblieben war.
    Aber ich tat es.
    Ich dachte an all diese Dinge, klammerte mich an Lena und fühlte mit Selina, die sich an Maik festhielt.

34
    Am frühen Nachmittag erreichten wir Morlaix, eine Stadt mit 15.000 Einwohnern. Noch konnte keiner von uns das Meer sehen, auf der Karte begann die Bucht drei, vier Kilometer nördlich der Siedlung, und wir kamen aus Südosten. Was wir dagegen sofort sahen, war ein hohes Viadukt aus schmutzig rötlich braunen und grauen Steinen, das über einem Teil der Häuser entlangführte, gekrönt von mehreren Leitungen.
    Wir fragten uns durch die Altstadt, vorbei an Fachwerkhäusern, deren obere Stockwerke über den Sockel herausragten, jedes ein Stück weiter als das darunter, und so die gewundene Straße noch schmaler wirken ließen. Vorbei an drängelnden Autos und lachenden Menschen. Die Luft roch nach Autoabgasen und einer Ahnung vom Meer.
    In der Tourist-Info holten wir uns Broschüren über die Gegend und das Ch â teau du Taureau. Es lag auf einer Insel am offenen Ende der Bucht von Morlaix und war am besten von dem 3.000-Seelen-Dorf Carantec aus zu erreichen, vierzehn Kilometer von hier. Von da setzte mehrmals täglich ein Boot für Führungen über. Führungen interessierten uns nicht, wir wollten unsere Ruhe und den Schutz der Dunkelheit. Trotzdem brachen wir sofort dorthin auf.
    Gemächlich kurvten wir durch Carantecs Straßen voller Touristen, jeder Dritte hielt ein Eis in der Hand, und die Hälfte der Häuser schien nur für die Ferien Fremder gebaut zu sein. Sie umlagerten einen weißen Strand an der breiten Mündung der Bucht, daneben einen weiteren, und irgendwo gab es einen Golfplatz am Meer.
    Bei den Département-Nummern auf den Autokennzeichen dominierten die 75 für Paris und die 29 für das hiesige Département Finistère. Von finis terra, das Ende der Erde. Ein passenderer Name war für unseren Trip kaum möglich.
    Das Wasser war von tiefem Blau, zahllose Segelboote kreuzten auf den leisen Wellen. Auch eine Handvoll Schlauchboote bemerkte ich, weit draußen zog ein größeres Schiff vorbei, und noch weiter draußen, jenseits des Dunsts, musste England liegen. Zu sehen war nichts als Weite.
    Wir umrundeten eine Landzunge und stießen auf einen weniger überfüllten Strand an einer Allee. Von hier aus hatte man einen klaren Blick auf drei vorgelagerte Inseln. Wir hielten an. Heller Sand lag wie ein dünner Schleier über dem Asphalt, die Luft schmeckte nach Salz. Wir nahmen die Helme ab und atmeten tief ein.
    Auf einer der Inseln erhoben sich drei weiße Gebäude, deren Mauern in der Sonne strahlten; eines von ihnen war ein Leuchtturm mit einer Kuppel aus Glas. Die Insel dahinter wurde fast vollständig von einer massiven grauen Festung besetzt, der gedrungene Rundturm an der Seite ragte kaum über den Kranz der Mauern hinaus. Das Ch â teau du

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