Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
zischte Selina.
»Ja«, sagten wir und passten unseren Rhythmus wieder aneinander an.
Tagsüber vom Land aus hatte es nicht so weit ausgesehen, wir mussten bereits über eine Stunde unterwegs sein. Wir paddelten und paddelten, fast glitt mir der glatte Aluschaft aus den verkrampften Fingern. Er rutschte ein Stück, bis ich wieder fest zupackte. Das Blatt schlug schräg auf die Wasseroberfläche, es spritzte.
»Soll ich dich wirklich nicht …?«
»Nein!« Ich spürte, wie sich Blasen an den Händen bildeten. Erst morgen würde es schlimm werden, und bis dahin waren wir wieder auf dem Heimweg.
»Weiter?«, fragte Maik, während wir langsam vorwärtstrudelten.
»Warte.« Nur zwei Armlängen entfernt schaukelte ein Hut über die Wellen, hell und aus Stroh, so wie Mutters Hut gewesen war. Im schwachen Licht sah er arg ramponiert aus, als sei er schon ewig unterwegs.
»Das gibt’s nicht«, murmelte ich und starrte ihm hinterher, wie er ganz langsam vorbeizog. Plötzlich packte ich das Paddel, um ihn einzufangen, aber dann ließ ich ihn treiben. Bestimmt war es ein anderer Hut, Strohhüte gab es Millionen.
Die wenigsten gehen im Meer verloren.
Gegen jede Vernunft und Statistik war ich überzeugt, dass es Mutters Hut war. Er war weit gekommen, und das hieß, Christophs Asche konnte überallhin gelangen.
»Was gibt’s?«, fragte Selina.
»Nichts.« Lächelnd tauchte ich das Paddel ins Wasser.
Endlich erreichten wir die Insel. Wir stiegen aus dem Boot und zogen es auf den Felsen. Selina hob den Beutel heraus, der inzwischen die anderen drei und alle Asche enthielt. Niemand machte ihr das streitig. Lena nahm den angebrochenen Kanister Wein.
Auf halbem Weg hatten wir kurz überlegt, die Asche vom Boot aus ins Meer zu kippen, aber nur sehr kurz. Es schwankte, und das Gummi quietschte bei viel zu vielen Bewegungen, niemand konnte auf dem wankenden Boden richtig stehen. Die Hälfte der Asche hätten wir wohl ins Boot geschmissen.
Die verlassene Festung erhob sich massiv vor uns, es roch nach feuchtem Stein. Am Fuß der Mauer schritten wir bis zum vorderen Ende der Insel, das dem offenen Meer zugewandt war. Sanfte Böen bliesen uns ins Gesicht und flauten wieder ab, kamen erneut und verloren sich irgendwo. Ich war froh, dass keine Windstille herrschte, es hätte Christoph gefallen.
»Halt!«, rief Maik. »Nicht hier! Hier bläst’s uns die Asche direkt ins Gesicht. So wie in dem einen Film, ich weiß nicht mehr, in welchem. Ist schon alt.«
Wir starrten ihn an, jeder fassungslos, dass er nicht selbst daran gedacht hatte.
»Fargo«, sagte ich, obwohl ich ihn nicht gesehen hatte, zumindest nicht bewusst. Höchstens aus Versehen reingezappt.
»Nein. Irgendwas mit Big. Großer Ärger oder …«
»Big Fargo?«
»Klärt das später«, bestimmte Selina und ging mit dem Beutel in der Hand weiter um die Insel. Zwischen den Schießscharten über uns pfiff es. Es klang, als würde es gleich zu heulen beginnen, doch dann verstummte alles. Wir gingen, bis wir den Wind im Rücken hatten und die Festung ihn von uns abhielt.
Vorsichtig leerten wir die drei eingepackten Beutel in den vierten und vereinten so Christophs Asche wieder, bevor die See sie in alle Welt zerstreuen würde. Auf beiden Seiten der Bucht und weiter die Küste hinab brannten Straßenlaternen und Licht in Fenstern, aber hier draußen war es trotz des Leuchtturms auf der Nachbarinsel dunkel. Der Himmel war unglaublich klar, die Sterne strahlten hell. Mit einem Auge wartete ich auf eine Sternschnuppe, und als sie erschien, wünschte ich Christoph lautlos eine gute Reise.
Wir wollten es anders machen als auf der Beerdigung, ohne die großen Reden. Weniger, aber auch nicht stumm. Jeder sollte einen oder zwei Sätze sagen, aber mir fielen nur Floskeln ein, und dafür hasste ich mich.
»Du warst das Beste, das mir passiert ist«, sagte Selina und nahm sich eine Handvoll Asche. »Ich liebe dich, und ich werde es immer tun.« Sie ließ die Asche ins Meer gleiten und tauchte anschließend die Hand hinein. »Wo auch immer du jetzt bist.«
Wellen leckten über das Ufer, und Selina gab Lena den Beutel.
»Ich hatte gehofft, dich irgendwann richtig kennenzulernen«, sagte sie und holte eine Handvoll Asche heraus. »Trotzdem habe ich dich geliebt. Danke, dass du mir vertraut hast.« Sie beugte sich zu den Wellen hinab und warf die Asche hinaus, wusch dann die Reste von der Hand. Als sie mir den Beutel gab, berührten sich unsere Finger kurz. Keiner zuckte.
Ich
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