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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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nicht für das Schlimmste stehen konnten, das mir passiert war.
    »Du kommst auch wirklich klar?«, fragte also meine Mutter, und diesmal bezog sie sich ganz konkret auf die kommenden Sommerferien.
    »Ja«, antworte ich wieder einmal, und dann ging mir auf, dass ich genau das tat. Klarkommen. Ich stand auf, ging in die Schule, brachte den Tag rum und ging ins Bett. Ich kam klar. Alles Routine. »Ich bin nicht zum ersten Mal allein. Ich weiß, wie man Spaghetti kocht.«
    Sie lächelte, doch in dem Lächeln lag eine Spur Traurigkeit. Mir fiel auf, dass die Fältchen in ihren Augenwinkeln zahlreicher geworden waren. »Ich koche dir auch was vor und friere es ein. Das kannst du dann auftauen. Und deine Himbeertorte backe ich auch.« Backen machte ihr Spaß, und wäre sie nicht Journalistin geworden, dann Konditorin. Zum Vierzigsten hatte mein Vater ihr auf der Rückseite des Hauses einen Backofen gebaut, wo sie ganz traditionell mit Holz backen konnte. Seitdem machte sie sogar das Brot und Semmeln selbst, wenn sie Zeit hatte.
    »Danke.« Ich liebte diese Himbeertorte mit dicker Sahneschicht und dem harten Keksboden, und ich bekam sie zu jedem Geburtstag und immer dann, wenn Mutter meinte, mir eine Freude machen oder mich trösten zu müssen. Als mein Wellensittich Willy gestorben war, den ich zu Grundschulzeiten gehabt hatte, hatte ich fünf Stück gegessen, obwohl ich lieber den leeren Käfig zertrümmert hätte. Ich begrub Willy zwischen zwei Sträuchern und markierte die Stelle mit einem faustgroßen Quarz, den ich am Lechufer in den Alpen gefunden hatte. Wenn ich abends aus meinem Fenster sah, ließ die tief stehende Sonne ihn schimmern. Fast eine Woche sah ich jeden Abend hinaus, doch dann kam Regenwetter, unter den Wolken blieb der Stein dumpf, und die Trauer verblasste. Ich sah nur noch zufällig nach dem Stein oder wenn ich Beeren von den Sträuchern pflückte.
    Es war frustrierend, dass Mutter mit der Torte auf Christophs Tod genauso reagierte wie auf Willys.
    »Du weißt, dass du noch jederzeit mitkommen kannst, wenn du magst. Vielleicht tut dir ein Ortswechsel gut.«
    »Nein.« Normalität oder Ortswechsel, was sollte nun helfen? Nichts. Ich wollte so allein sein, wie ich mich fühlte, ich wollte in Ruhe durchatmen. Und auf keinen Fall wollte ich nach Schweden, in ein abgelegenes Dorf voller kleiner Ferienhäuser mit fröhlich flatternden Fähnchen, bunten Elchbildern an den Holzwänden und Nachbarn, die fast alle deutsch sprachen und einen zu schwedischem Essen und Facebook-Freundschaften einluden, obwohl man nur durch einen Buchungszufall zu Nachbarn geworden war und sich nur deshalb gut verstand, weil im Urlaub immer alle gut drauf sind.
    »Berge oder Meer, was magst du?«, fragte mich Christoph.
    »Beides.«
    »Ja, ich auch. Aber wenn du dich entscheiden müsstest, entweder oder?«
    »Ich weiß nicht, muss ich überlegen.«
    »Du denkst zu viel.«
    »Du stellst komische Fragen.«
    »Und du kannst dich nie entscheiden. Warum?«
    »Weil sie zu unterschiedlich sind. Bei Hügel oder Berge sage ich Berge, bei Seen oder Meer entscheide ich mich fürs Meer. Aber Meer oder Berge? Beides beeindruckend und groß.«
    »Das ist doch ’ne Antwort.«
    »Und du?«
    »Das Meer«, sagte Christoph, ohne zu zögern.
    Ich wollte nicht ans Meer.
    Als sie die Reise gebucht hatten, war Christoph noch am Leben gewesen, und ich hatte unbedingt daheimbleiben wollen, denn wir hatten beschlossen, er würde bei mir einziehen, solange ich sturmfrei hatte – wie auch Knolle und Ralph. Meine Eltern hielten mich für alt genug und hatten nichts dagegen. Pia war kurz enttäuscht, wurde aber mit einem Reiterhof in der Nähe der Ferienanlage beruhigt. Zwei Wochen Party war der Plan gewesen, zocken, abhängen, grillen und immer wieder an den Baggersee raus, Mädels treffen. Christoph seine Selina, wir anderen alle anderen.
    Diesen Plan gab es nicht mehr. Trotzdem konnte ich nicht fahren.
    »Ich koch dir, was du willst. Du musst es mir nur sagen, ja?«, bot meine Mutter noch einmal an.
    »Wieso darf Jan schon wieder entscheiden?«, fragte Pia, die in die Küche platzte. »Ich will Crêpes. Mit Schinken und Zitroneneis.«
    »Es geht nicht um heute«, sagte meine Mutter.
    »Gut. Dann können wir heute ja Crêpes machen.«
    Mutter sah mich an, und ich nickte.
    »Mit Schinken und Zitroneneis«, sagte Pia. »Das ist voll lecker. Hat Jule aus Versehen entdeckt.«
    »Das mit dem Versehen glaub ich sofort«, sagte ich, und sie boxte mir gegen die

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