Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
gelassen hatte, sprang auf den Sessel und ließ die Beine über die Lehne baumeln. »Für mich auch.«
»Ist alles in der Küche«, brummte ich. »Selbstbedienung. Oder seh’ ich aus wie euer beschissener Butler?«
Ohne darauf zu antworten, holte Knolle zwei Flaschen Saft, aus denen wir abwechselnd tranken.
»Für die Party müssen wir aber echt noch einiges holen.« Knolle nickte Richtung Küche. »Was Alk anbelangt, sieht’s ja düster aus.«
»Hätte ich meinen Vater bitten sollen, vor dem Abflug noch schnell ein halbes Dutzend Bierkästen mit dem Auto ranzuschaffen?«, blaffte ich. »Das beruhigt Eltern ungemein.«
»Mann, ich sag ja nur.«
»Was ist los?«, fragte Ralph.
»Ich will die Party nicht mehr. Sie ist falsch.« Am nächsten Tag wäre Christophs siebzehnter Geburtstag gewesen. Ursprünglich hatten wir den fett feiern wollen, zusammen mit ihm. Ich wusste nicht, wie die beiden noch immer an der Party festhalten konnten.
»Hast du Angst, deine Eltern merken was? Oder warum gibst du die Spaßbremse?«
»Warum?«, echote ich. »Warum wohl? Christoph ist tot.«
»Aber wir leben.« Knolle legte die nackten Füße auf den Couchtisch. »Und er hätte nicht gewollt, dass wir aufhören zu feiern.«
»Lasst uns das für ihn machen«, drängte Ralph. »Wir spielen Songs, die er mochte, und trinken nur, was er getrunken hätte.«
Knolle lachte. »Er hat alles getrunken.«
»Das ist doch egal«, sagte Ralph. »Der Gedanke zählt. Wir feiern ihn, wie wir es nach der drögen, verlogenen Beerdigung längst hätten tun sollen.«
Ich wollte protestieren, aber Ralph hatte mit einem recht: Die Beerdigung war verlogen gewesen. Vielleicht konnte ich mir tatsächlich den Schmerz, die Wut und die Mattigkeit aus den Knochen feiern, sie ausschwitzen, die Gedanken an Christoph mit Alkohol aus dem Kopf spülen. Nicht allein, sondern mit anderen, die seine Freunde gewesen waren. Eine Geburtstags- und Abschiedsparty in einem, eine Art Gedenken, wie es die steife Beerdigung nicht gewesen war.
Es wurde Zeit, irgendwas zu tun.
6
Am Tag von Christophs Beerdigung schien die Sonne an einem strahlend blauen Postkartenhimmel, es war der bis dahin wärmste und schönste Tag des Jahres.
Was für ein Hohn, dachte ich.
»Pass auf, dass du dir keinen Fleck auf die schwarzen Sachen machst«, sagte meine Mutter beim Frühstück. »Du hast nichts anderes.«
Ich erwiderte nichts, ich aß nicht einmal etwas, ich trank nur drei Tassen schwarzen Kaffee, um wach zu werden. Geschlafen hatte ich nicht, auch wenn ich lange im Bett geblieben war, um meine Ruhe zu haben.
»Und kondoliere den Eltern ordentlich«, erinnerte mich mein Vater, der ausnahmsweise eine dunkle Krawatte zum Anzug trug.
»Ja.«
Wir gingen zu Fuß zum Friedhof. Er lag nicht allzu weit von uns entfernt, und auf keinen Fall wollte ich mich in ein Auto setzen. Es war Mittag, die Sonne brannte furchtbar heiß vom Himmel, und wir erreichten die Aussegnungshalle vollkommen durchgeschwitzt. Auf dem Parkplatz fiel mir der Motorroller von Lena auf, schwarz und mit aufgemalten Knochen, und nicht nur mir. Ein paar Alte tuschelten, dass das kein angemessenes Gefährt sei: »Kann man nicht wenigstens an so einem Tag dezenter sein?«
»Keinen Respekt.«
Ich dachte, dass jeder ein Heuchler war, der sich auf einer Beerdigung Gedanken über fremde Fahrzeuge machte. Ich war froh um jeden, der gekommen war und es ernst meinte. Von Lena hatte Christoph nie gesprochen, aber sie war trotzdem da.
Während Mutter kurz um die Ecke ging, um ihr Deo aufzufrischen, nahm Pia meine Hand und drückte sie. Ich drehte mich zu ihr um, und sie sah mich traurig an. Sie war zwölf und hatte eher kapiert, auf was es ankam, auch wenn ich nicht wusste, ob sie mich trösten wollte oder ob sie selbst Halt suchte. Ich drückte ihre Hand und wandte mich wieder ab, um nicht loszuheulen.
Aus der Schule waren viele gekommen, nicht nur aus unserer Klasse, und auch aus dem Dorf. Alle sprachen betont leise, nickten sich bedächtig zu und achteten darauf, niemanden bei ihren Begrüßungen zu vergessen. Dennoch weiß ich nicht mehr, welche Hände ich geschüttelt habe, richtig angesehen habe ich kaum jemanden. Knolle und Ralph waren natürlich gekommen und umarmten mich lange, sie sahen beide fertig aus, Knolle stank nach Zigarette.
Christophs Freundin Selina war schmal und blass, ihr langes blondes Haar leuchtete hell in der Sonne, und als ich sie linkisch umarmte, roch ich frisches Shampoo und schweres
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