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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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gab, was hatte das alles dann für einen Sinn?
    Der Tod macht alle gleich, hieß es, doch war das ein Grund, mit den immer gleichen Ritualen auf ihn zu reagieren? Lebende Menschen waren nicht gleich und die Erinnerungen an sie auch nicht. Was also sollte das hier?
    War das hier alles, was wir zu seinem Andenken tun konnten? In der Dusche saufen und laute Musik spielen, zu der keiner tanzte?
    Ding ding donga dong dong …
    Plötzlich stand der Mädchenschwarm Kev mit glasigen Augen vor mir und hielt mir sein Bier ins Gesicht: »Auf Chris.«
    »Lass gut sein«, murmelte ich.
    Als Christoph noch gelebt hatte, war er Kev egal gewesen, erst der Tod hatte ihn interessant gemacht. Ich hatte Kev nicht eingeladen. Und Christoph hatte es gehasst, Chris genannt zu werden, so wie jeder x-beliebige Christian.
    »Was?«, motzte er. »Heute ist Chris’ Geburtstag, und du weigerst dich …«
    »Christoph hat nie wieder Geburtstag, er ist tot«, stieß ich hervor, betonte den vollständigen Namen überdeutlich und schob mich an ihm vorbei.
    »Ich weiß.« Voller Abscheu stierte er mich an. »Mir geht es um sein Andenken! Ich dachte, du warst sein Freund?«
    »Ja. Ich war sein Freund. Schon bevor es um sein Andenken ging.«
    »Was soll jetzt das wieder?«
    »Ach, halt’s Maul.«
    Er murmelte irgendwas und wankte in Richtung Bad davon, wo Knolle noch immer »Sintdusche!« brüllte und die anderen lachten und johlten und tranken. Ihre Ausgelassenheit schwappte über mir zusammen wie eine Welle, die drohte, mich niederzudrücken und zu ersticken. Ich musste hier dringend weg, einfach nur raus, und rief Ralph zu, dass ich mal an die Luft müsse, er solle sich um alles kümmern.
    Er nickte weiter im rasenden Rhythmus des Songs und hob den Daumen zum Zeichen, dass er verstanden hatte.
    Ding a dang dong dong dong …
    Als die Terrassentür hinter mir zuklappte, drang die Musik nur gedämpft durch die Scheibe, und das Johlen aus dem Bad war gar nicht mehr zu hören.
    Endlich.
    Jenseits der anderen Seite des Hauses verlor sich das Motorengeräusch eines einsamen Autos in der nächtlichen Stille.
    Tief sog ich die klare Luft ein. Auf dem ausgelagerten Couchtisch standen drei leere Bierflaschen, die als Aschenbecher dienten, auf der Hollywoodschaukel dahinter knutschte ein Pärchen, das mich ignorierte. Trotz Dunkelheit erkannte ich Jennys dunkle Locken, doch das war mir egal. Dass ich noch vor wenigen Monaten verzweifelt in sie verliebt gewesen war und mir im Suff ihren Namen in die Fingernägel der linken Hand geritzt hatte – jeder Nagel ein Buchstabe –, war vergessen. Nichts von diesen Gefühlen hatte überdauert, ich wollte nicht einmal wissen, wer der Typ war oder ob wir ihn überhaupt eingeladen hatten.
    Langsam trat ich weiter in den Garten hinaus. Es war ein großer Garten, eintausendneunhundertdreiundsechzig Quadratmeter, etwa so groß wie die Grundstücke der benachbarten Bauernhöfe. Vor meiner Geburt hatte hier auch ein Hof gestanden, doch der war niedergebrannt, und meine Eltern hatte die traurigen Überreste gekauft, als der Vorbesitzer wegen Versicherungsbetrugs verurteilt worden war.
    Vorn an der Durchgangsstraße hatten sie ein weißes, zweistöckiges Wohnhaus mit ausgebautem Dachgeschoss und gläserner Gaube errichten lassen. Da, wo früher Hühner nach Würmern und Körnern gepickt hatten, hatte Mutter nun Gemüsebeete angelegt, mit Reihen so gerade, als hätte sie sie mit Winkel und Lineal gezogen. Daneben standen Sträucher in Reih und Glied, Himbeeren, Johannisbeeren und Stachelbeeren. Willy lag zwischen dem zweiten und dritten.
    Andere Tiere hatten wir nie besessen. Pia lernte auf einem Schulpferd reiten, und Mutter waren die streunenden Katzen der Nachbarn schon zu viel, die unkontrolliert in ihre Beete machten. Sie wollte nicht hören, dass es sich um wunderbaren, natürlichen Dünger handelte, weshalb Pia und ich es oft betonten: »Das werden Megabeeren dieses Jahr, so viele Katzen, wie sich heute darum gekümmert haben …«
    Das Haus hat die Nummer 42, was mich amüsierte, seit ich Per Anhalter durch die Galaxis gelesen hatte. 42 war dort die dubiose Antwort auf die Frage nach dem Sinn und damit eine gute Zahl für die eigene Adresse. Aber durfte das eigentlich sein, das Zuhause als Sinn des Lebens? Ein schöner Scherz, ja, aber ich wollte nicht, dass das alles war: eintausendneunhundertdreiundsechzig Quadratmeter Grund und ein Neubau.
    Ganz hinten auf dem Grundstück, wo es an die ersten Felder grenzte, hatten

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