Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
hatte.
»Komm mit rein!«, rief Knolle, sein Gesicht war rot und nass, die dunklen Haare hingen ihm tief in die Stirn und trieften. Er trug nichts außer dunkelblauen Baggy Shorts mit ausgebeulten Seitentaschen, die längst durchnässt waren. Umständlich stellte er die Flasche auf den Abfluss und spannte den rosa Regenschirm meiner kleinen Schwester auf. Die Plastikspitzen der Kiele schrappten über die teuren weißen Kacheln der Duschwand, Wasser platschte auf die Plane und spritzte aus der Duschkabine und bis auf meine nackten Füße.
»Trocken!« Knolle lachte, grapschte ungelenk nach der Flasche und warf sie um. Hell schlug sie auf das weiße Emaille und rollte umher, dunkler Wein schwappte heraus, bis Knolle sie kichernd doch noch zu fassen bekam. Wasser wusch den Wein zum Abfluss, wo er in der Tiefe versickerte.
Ich dachte an Blut.
»Jetzt ist trocken, komm rein!«, rief Knolle erneut. »Kommt alle rein!«
Ich schlug die geriffelte Plastiktür zu. »Du überschwemmst das Bad!«
»Spießer!« Knolle trat sie mit dem Fuß wieder auf; scheppernd krachte sie gegen den Handtuchhalter. »Ich überschwemm die ganze Welt! Das wird die Sintdusche! Knolles Zorn ist schrecklicher als der Gottes. Nur wer einen rosa Regenschirm trägt, wird überleben. Der rosa Schirm ist unsere Arche!«
»Komm aus der Dusche«, sagte ich, aber ich musste dabei lachen, und es war mir eigentlich egal, ob er herauskam oder noch eine Woche darin sitzen blieb. Ich hatte noch zwölf Tage, bis meine Eltern zurückkamen, genug Zeit also, den Boden zu wischen. Für die ganze Welt war ich nicht verantwortlich, die durfte gern ein anderer wieder in Ordnung bringen.
»Nein.« Trotzig nahm er einen langen Zug aus der Flasche und hielt sie mir dann entgegen. Wein und Speichel rannen ihm aus dem Mundwinkel. »Prost!«
Schweigend beugte ich mich hinab, stieß mit ihm an und nahm einen kleinen Schluck von meinem Bier. Es schmeckte bitterer als sonst und war längst warm geworden, obwohl die Flasche, meine zweite, noch halb voll war. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich kaum getrunken hatte.
»Leute! Knolle ist knülle!«, schrie Julia vor der offenen Badtür und sprang herein. Wie immer hatte sie ihr Smartphone in der Hand und schoss Fotos oder filmte; sie war Videobloggerin und wollte später radikale Filme drehen – so wie Lars von Trier, nur weiblicher – oder in die Werbung gehen. Andere strömten hinter ihr herein, drängend, kichernd und mit neugierig gereckten Hälsen.
»Prost, Knolle!«
»Prost!«
Plötzlich war das Bad voller Menschen, alles viel zu eng, die massive, laute Fröhlichkeit erdrückte mich, und ich machte mich davon, zwängte mich zwischen allen hindurch, roch Schweiß und zu viel Rasierwasser und klebrig süße Düfte. Ich kämpfte mich hinaus auf den Flur, in dem sich Getränkekästen und Chipstüten stapelten und Schuhe kreuz und quer herumlagen. Das gerahmte Familienfoto von Vaters Vierzigstem zwischen Tür und Berliner Mauerbild war verrutscht. Warum hatten wir keins von Christoph aufgehängt? Ich trank von meinem Bier, um die Party in meinen Kopf zu kriegen, aber es schmeckte lack.
Aus der Küche drang Lachen, auf der Treppe saßen Kiki und Jana und flüsterten verschwörerisch mit feucht glänzenden Lippen. Ich wollte weder lachen noch flüstern und trottete ins Wohnzimmer hinüber.
Es war beinahe verlassen, niemand saß auf der breiten schwarzen Ledercouch oder den Sesseln, die wir an die Wand geschoben hatten. Den gläsernen Couchtisch hatten wir auf die Terrasse gestellt, der weiße Teppich lag zusammengerollt vor dem Wandschrank, aus dem wir den teuren Alkohol geräumt und durch billigen Wodka und zuckrige Liköre ersetzt hatten. Doch niemand tanzte auf der freien Fläche.
Ralph schien das egal zu sein, er hatte seinen Laptop an den Verstärker angeschlossen und wechselte mit einem schiefen Grinsen die Musik. Das tat er immer, wenn keiner hinsah. Schnelles, monotones Geknüppel drang aus den Boxen. Der Sänger brüllte irgendwas von Ding Dong oder Dang long oder was auch immer.
Ralph deutete auf mich und brüllte: »Das ist Musik! Das ist Musik!« Dann nickte er mit dem kurz geschorenen Kopf wie ein Wackeldackel auf Speed im Heck des Rallye-Weltmeisters.
Bei Christoph hatte ich den Song nie gehört.
Für Christoph , hatte Ralph gesagt, doch nichts unterschied die Party von all den anderen Partys, so wie sich seine Beerdigung nicht von anderen Beerdigungen unterschieden hatte. Wenn es keinen Unterschied
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