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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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mich nach vorn, die Knie schrappten schmerzhaft über die Mauer. Ich biss die Zähne zusammen, schwang das linke Bein auf die Mauer und zog mich schließlich ganz hinauf, wo ich erst einmal bäuchlings und keuchend liegen blieb. Der schwierigste Teil war geschafft.
    Da bemerkte ich im Augenwinkel, dass bei der alten Schwerdtfeger auf der anderen Seite des Wegs Licht brannte. Hatte das schon gebrannt, als ich angekommen war? Ich konnte mich nicht erinnern, unterdrückte einen Fluch und glitt leise auf der Innenseite hinab. Von ihr wollte ich mich auf keinen Fall erwischen lassen. Die vermutete in jedem Jugendlichen einen Verbrecher, und ich konnte ihr Keifen schon hören: »Grabschändung! Ruhestörung! Satanisten!«
    An die Mauer gepresst wartete ich kurz ab, doch keine Tür wurde geöffnet, niemand rief: »Halt! Wer da?«
    Trotzdem blieb ich vorsichtig. Gebückt schlich ich im weichen Gras neben dem breiten Kiesweg entlang, um kein Geräusch zu machen. Es war nicht weit bis zu den hohen Tannen, unter denen Christoph verscharrt war. In ihrem Schatten war es dunkel und eng, und ich dachte: Das passt, so hat er es hier immer empfunden, und so wird es für immer bleiben.
    Als ich die Tannen beinahe erreicht hatte, sah ich zwischen ihnen eine reglose, gebeugte Gestalt. Genaues konnte ich nicht erkennen, nur dass sie direkt vor Christophs Grab kniete und die Hände im Schoß hielt.
    Ich erstarrte.
    Wer war das?
    Von hier aus konnte ich es nicht erkennen, nicht einmal, was die Gestalt tat. Nichts, so schien es – sie rührte sich nicht. Dann sagte sie etwas, doch so leise, dass ich es nicht verstand.
    Ich wurde wütend. Ich hatte allein sein wollen mit Christoph. Konnte man nicht mehr mal das erwarten, kurz vor Mitternacht auf dem Friedhof?
    Langsam schlich ich näher.
    »Es tut mir leid.« Die Stimme klang brüchig und halb vertraut, aber so leise und dünn erkannte ich sie nicht, nur, dass sie männlich war. »Ich hätte ans Licht denken sollen. Aber …«
    Entschuldigte sich der Typ eben dafür, dass es in der Nacht dunkel war? Ein Verrückter hatte mir gerade noch gefehlt.
    Ich schlich näher und erkannte Maik. So wie er am Boden kniete, schien er viel kleiner zu sein als seine schlaksigen 1,92 Meter, das dichte blonde Haar wirkte ohne Licht matt und grau. Er trug eine dunkle Jeans, dunkle Turnschuhe und einen schwarzen Hoodie, Tarnkleidung für die Nacht.

8
    Maik lebte in einem Kaff, etwa zehn Kilometer von hier. Zwar ging auch er in unsere Schule, aber in die Parallelklasse; wir hatten kaum Kontakt. Ich hatte früher Fußball gespielt, er war Skater. Er fuhr Snowboard, ich manchmal im Sommer in die Berge. Dann reichten ihm die nahen Hügel der Stauden. Dort raste er mit seinem Skateboard downhill und soll sogar schon einen Rennradfahrer mit herausforderndem Lachen überholt haben. Die meiste Zeit verbrachte er an den Halfpipes der Gegend.
    Es kursierten Geschichten, dass er sich schon an den Gepäckträger eines Motorrads gehängt hatte und mit 80 km/h die Landstraße entlanggebrettert war. Manche sagten 100 km/h, andere sprachen von der A96 Lindau – München. Er schwieg dazu.
    Die Geschichte, die ich mit ihm verband, ereignete sich letzten Sommer.
    Nicht weit von hier ragte eine Landzunge aus grobem Kies in den Lech, bestimmt fünfzig Meter lang und zehn, fünfzehn breit. Mit abgestorbenem Holz aus dem Waldstreifen am Ufer ließ sich leicht ein Lagerfeuer entzünden, es gab keine Anwohner, die es störte. Niemand wusste, ob es legal war, aber beschwert hatte sich noch keiner. Und so fanden dort regelmäßig Partys statt. Irgendwer organisierte das Bier, irgendwer anders die Musik, gesessen wurde auf dem Boden, auf Decken, Holzstümpfen oder leeren Getränkekästen. Wer kam, der kam, und dazu noch tausend Mücken, Menschen wie Insekten angelockt vom Feuer.
    Es war Ende August und die Party, auf der ich mich in Jenny verknallte. Wir hatten drei Feuer brennen, sie saß an einem anderen, und ich blickte immer wieder hinüber. Christoph und Selina waren im Dunkeln verschwunden. Langsam leerte ich mein Bier und nahm mir vor, gleich hinüberzugehen. Jenny sah nicht ein einziges Mal zu mir.
    Und dann stand sie mit einem anderen Mädel auf, und auch Maik und ein Kumpel erhoben sich. Zu viert schlenderten sie in Richtung Straße davon. Kurz wollte ich aufspringen und ihnen folgen, aber dann dachte ich, dass es peinlich wäre, blieb sitzen und leerte die Flasche in einem Zug. Ich dachte, sie wären ganz gegangen.
    Doch

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