Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
auszudenken.«
»Wenn du magst, helf ich gern.«
»Danke.«
Sie lächelten, und ich fragte mich, ob das noch immer gelogen war. Obwohl ich eine Schwester hatte, hatte ich Mädchen nie verstanden. Zumindest waren wir der mütterlichen Bespitzelung entronnen.
Mittags machten wir wieder Pause, abseits der Straße und am Rand eines Waldes, nur halb im Schatten der Bäume. Als Erstes riss ich mir die Gummistiefel von den Füßen und sah nach, ob sie nicht doch zwei Nummern zu klein waren, so wie sie drückten. Wir setzten uns im Kreis und aßen von dem, was wir uns im letzten Supermarkt gekauft hatten. Die Sonne knallte inzwischen vom Himmel, wir schwitzten und fühlten uns faul wie Reptilien. Wir taten nichts Anstrengenderes, als die Flasche zum Mund zu führen.
»Siesta«, sagte Lena und legte sich auf den Rücken. Den kurzen Rock zupfte sie ein Stück nach unten, und trotz der Hitze behielt sie die Strumpfhose an.
Selina legte sich neben sie, Maik blieb einfach sitzen und zog die Beine an. Im Handy checkte er seine Mails und Facebook und antwortete irgendwas. Auch Selina zog ihr Handy hervor und tippte. Ich hatte nur zwei unwichtige SMS und war als Erster fertig.
Mein Körper kribbelte vor Müdigkeit, aber ich legte mich nicht hin. Auch wenn ich mich wie in Zeitlupe fühlte, ich war aufgekratzt, nicht fähig, die Augen zu schließen. Das Essen hatte mir Energie gegeben, ich konnte nicht dösen.
Zwischen den letzten Bäumen, noch zwanzig oder dreißig Meter weiter von der Straße entfernt, stand ein offener Hochsitz. Ich ging hinüber. Das Holz war matt und trocken, die Rinde abgebröckelt. Als ich an den Stangen rüttelte, wackelte er kaum. Ich rüttelte fester, er schien stabil. Vorsichtig kletterte ich hinauf.
Er war so breit, dass wir bestimmt zu dritt auf der Bank Platz gefunden hätten. Ich setzte mich in die Mitte, legte die ausgestreckten Arme auf den Querbalken und sah hinab. Vor mir erstreckte sich ein Gerstenfeld, die Ähren waren trocken braun und zur Ernte bereit. Am Himmel zeigte sich noch immer keine Wolke, kein Lüftchen regte sich. Ich dachte an die brütende Mittagshitze in Horrorfilmen.
Da, wo meine Arme lagen, ruhte sonst das Gewehr des Jägers. Zumindest stellte ich mir das vor, ich war noch nie auf der Jagd gewesen.
Langsam krümmte ich die letzten drei Finger und streckte den Zeigefinger aus. Ich kniff das linke Auge zu und nahm den Daumennagel als Kimme. Noch immer lag das Feld reglos da. Hoch oben segelten Vögel durch das Blau, aber ich hob den Arm nicht. Ich hielt ihn weiter auf das Feld gerichtet, wo der Jäger in der Morgendämmerung Rehe oder Hasen finden mochte, vielleicht auch einen Fuchs. Ich stellte mir stinkende Zombies vor, die sich torkelnd ihren Weg durch die Ähren bahnten, die Köpfe umkreist von grünlich schillernden Fliegen, und drückte ab.
»Phhwww.«
Wie als Kind, wie am Rechner.
Fliegen taten nichts, und die Lebenden wurden von Stechmücken umkreist. Was sagte das über das Leben?
Ich malte mir aus, wie Gerber unten durchs Feld stakste, die Hände blutig rot, aber ich konnte mir sein Gesicht nicht vorstellen, und so hatte er einen breitkrempigen Strohhut tief in die Stirn gezogen, alles bis zum Kinn lag im Schatten. Weil ich ihn nicht erkennen konnte, drückte ich nicht ab.
»Was machst du?«, rief Maik, der plötzlich unter dem Hochsitz stand.
»Nichts.« Fast hätte ich den Finger auf ihn gerichtet, das wäre peinlich gewesen. Ich ballte die Fäuste, die Zombies und Gerber waren verschwunden.
»Ich dachte, du hättest was gesagt.«
»Nein.« Maiks Pistole kam mir in den Sinn, aber der Gedanke daran gefiel mir nicht. Vor meinem geistigen Auge steckte er sie sich wieder in den Mund, und diesmal drückte er ab. Der Schädel platzte in einer Fontäne aus Rot und Grau, wie ich es bei zahlreichen Zombies gesehen hatte; aber das hier wollte ich nicht sehen. Ich schüttelte den Kopf, um das Bild loszuwerden.
Maik kletterte zu mir hoch und setzte sich neben mich. »Mann, da gehst du als ahnungsloses Reh unten vorbei, und dann … bamm!« Er schoss mit dem Finger auf die reglosen Ähren.
»Hast du schon mal gejagt?«, fragte ich.
»Nur Blechdosen mit ’nem Luftgewehr.«
»Ja, die Blechdosen sind eine wahre Plage, die müssen ausradiert werden.«
»Einmal hab ich auch einen Vogel erwischt, einen Spatz, glaube ich. Da war ich noch in der Grundschule, und mit Schorre und anderen Älteren in der Kiesgrube. Die haben gesagt, ich würde mich nicht trauen, und
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