Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
sollten, aber sie wollte es auf keinen Fall in einem Gepäckfach einschließen und zurücklassen, wir anderen würden unsere ja auch behalten. Bis ihre Mutter anrief, wollte sie sich eine Geschichte überlegen, um sie einzuwickeln.
»Sie kontrolliert mich ja nicht ständig. Ich war schon in Augsburger Clubs, obwohl ich gesagt habe, ich bin bei einer Freundin, und sie hat’s nicht gemerkt. Normalerweise glaubt sie mir, nur wenn ich nicht rangehe, wird sie misstrauisch.«
Maik kam zurück und platzierte den neuen Kaffee zwei Meter von uns entfernt auf der Mauer. Er ließ ihn nicht aus den Augen, bis er abgekühlt war. Vorsichtig und mit beiden Händen umklammerte er den Becher und leerte ihn so rasch wie möglich.
»Yeah!« Er reckte den Becher in die Höhe und drehte ihn demonstrativ um. Drei letzte Tropfen fielen zu Boden, Maik ballte die Siegerfaust und ließ sich feiern. Dann joggte er zum Auto des Kläffers hinüber und klemmte unter jeden Scheibenwischer einen Becher, den dritten stopfte er in den Auspuff.
Wir saßen auf und düsten zur Tankstelle am Stadtrand, die uns die Bäckerin genannt hatte und die auch über eine Toilette verfügte. Selina sah kurz zögernd von Lena zu mir, ihr Blick blieb unsicher an mir hängen, als würden wir ohne sie fahren. War sie wirklich unsicher, oder bildete ich mir das ein? Unmerklich schüttelte ich den Kopf. Dann eilte sie los.
Als Lena beide Tankfüllungen bezahlte, ging ich mit ihr hinein, um nach Kaugummis zu schauen. Auf mehreren Haken in Kassennähe entdeckte ich eingeschweißte Aufkleber: Ein Ortsschild mit durchgestrichenem Stuttgart 21 , Ich bremse auch für Arschlöcher und Kein Kind mit doofem Namen an Bord .
Unwillkürlich griff ich mir den letzten. Gerbers Adresse kannte ich auswendig, und einen Aufkleber könnte ich auch ohne die Bruchstücke eines winzigen Plastikrads schicken. Aber was sollte Kein Tod mit doofem Namen an Bord ?
Der unrasierte Typ hinter der Kasse sah mich misstrauisch an.
»Kommst du?«, rief Lena von der Tür.
»Gleich.«
Sie ging raus in die Sonne, und ich wedelte unentschlossen mit dem Aufkleber. Die anderen beiden halfen mir auch nicht weiter, höchstens könnte man basteln: Ich bremse … für niemanden . Den schwarzen Marker und das Tipp-Ex hatte ich nicht dabei. Zögernd hängte ich den Aufkleber zurück.
In Frankreich bekomme ich bestimmt keinen mit deutschem Text, dachte ich und nahm ihn wieder in die Hand, nur für alle Fälle. Er war nicht teuer, wir hatten noch immer fast fünfhundert Euro.
Ich zahlte, und der Typ musterte mich seltsam.
Als ich den Shop verließ, hatte ich den Kaugummi vergessen.
16
Der Anruf von Selinas Mutter erreichte uns im Schwarzwald, den ich mir viel dunkler vorgestellt hatte, mit dichten Baumkronen, die alle Sonne schluckten, und undurchdringlichem Unterholz, wenigen Häusern und großen Waldgebieten, als könnten dort noch wilde Wölfe leben und vielleicht auch ein Bär. Doch alles, was ich von der Straße aus sah, war der gleiche lichte Nutzwald wie bei uns, immer wieder von Feldern und Dörfern unterbrochen. Wenn er doch irgendwo wild wirkte, war der nächste Busparkplatz für Touristen nicht weit.
Mittlerweile stand die Sonne so hoch, dass sie zwischen den Wipfeln hindurch auf die Straße schien. Ich fror schon lange nicht mehr.
Wir hielten am Straßenrand, und Selina riss sich den Helm vom Kopf.
»Mama, hi«, rief sie ins Handy. Sie klang erfreut und fröhlich, aber ihre Haltung war angespannt. »Hast du gut geschlafen?«
Die Mutter sagte irgendwas, das wir nicht verstehen konnten. Selina hielt den Blick gesenkt und ging zwei Schritte weg von der Straße.
»Aber ich hab dir doch einen Zettel geschrieben.« Nun klang sie völlig überrascht, aber auch entschuldigend und unterwürfiger, als ich es von ihr kannte.
(…)
»Doch, ganz bestimmt! Er liegt auf dem Küchentisch, damit du ihn gleich siehst. Auf deinem Platz.«
(…)
»Nicht? Aber … tut mir leid, ich hab ihn versehentlich eingesteckt. Ich hab ihn hier. Dabei war ich so sicher, dass … Tut mir wirklich furchtbar leid.« Selina klang aufrichtig zerknirscht, ich hätte ihr ohne Weiteres geglaubt. »Ich helfe einer Freundin, die neu ist und noch nicht so viel Anschluss hat, weil sie schüchtern ist. Sie soll für ihre Mutter ein paar Dinge bei ihrer Tante abholen, und sie wollte nicht allein fahren. Das hat mit ihrer Familie zu tun, eine furchtbar verfahrene Situation mit Scheidung und Krankheit und verrückten
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