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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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»Ich bin Robert.« Dabei sah er Lena tief in die Augen, und als sie spöttisch eine Braue hob, schwenkte sein Blick einfach zu Selina. Sein Lächeln blieb.
    Von so viel Dreistigkeit war ich vollkommen verblüfft. Lenas spöttische Augenbraue war dagegen nur wunderbar. Sie war vielleicht das einzige Mädchen der Welt, bei dem man sich allein in eine Augenbraue verlieben konnte. Theoretisch.
    »Ich bin Selina«, sagte Selina und griff wie beiläufig nach Maiks Hand.
    Ich spürte einen Stich wie von Eifersucht, und das verwirrte mich an der ganzen Begrüßung am meisten.
    »Kommen deine Kollegen aus der Stadt auch noch?«
    »Nein. Andere Party.«
    Die Franzosen begannen, Holz aus der Umgebung zusammenzutragen, machten jedoch noch kein Feuer. Sie drehten die Musik so laut, dass sich die Boxen fast überschlugen; der wummernde Techno war Rhythmus pur, Köpfe nickten, Füße, Beine, Leiber wippten. Wir hatten uns auf ihrer Lichtung niedergelassen und konnten uns nicht dagegen wehren, von ihrer Feier aufgesogen zu werden. Aber wir durften bleiben, es hätte also schlimmer kommen können.
    Sie gaben uns von ihrem Wein aus den Fünf-Liter-Plastikkanistern ab. Ich wollte ablehnen, dachte an den süßen Dreck aus Discounter-Tetrapacks mit Schädelwehgarantie, doch Fabienne drückte mir einen gefüllten Plastikbecher in die Hand und stieß mit mir an, auch Robert und die anderen. Das Plastik knickte, nichts klirrte.
    »Prost!«
    »Santé!«
    Ich nippte. Der Wein schmeckte so gut wie unserer. Ich nahm einen richtigen Schluck und nickte.
    »Bon. Bon.«
    Fabienne schenkte schwungvoll nach, Wein schwappte über meine Hand, und wir lachten.
    »Sorry.«
    »Macht nichts.« Ich wischte die Hand ab und dachte nur kurz an Blut.
    Fabienne blieb neben mir sitzen, sie kickte im Verein, und wir hatten unser Thema.
    Als es dämmerte, entzündeten sie ein Feuer, und die ersten begannen zu tanzen. Ich sah zu Selina, sie wippte nur mit dem Kopf.
    Irgendwer bot mir eine Pille an, aber ich lehnte ab; trotz Neugier war ich nicht über Alkohol und zweimal Gras hinausgekommen. Es hieß, es verstärke alle Gefühle, und das konnte ich jetzt nicht brauchen. Ich wollte die Ängste, Wut, Trauer und Einsamkeit in mir nicht füttern. Was Alkohol mit mir anstellte, wusste ich.
    »Merci.« Ohne Zögern warf Maik eine Pille ein und nickte mit dem Kopf heftig zur Musik, die bis zum Anschlag aufgedreht war. Dazu spielte er breitbeinig Luftgitarre wie ein Metalhead, keine Ahnung, was er in seinem Kopf hörte.
    Robert quatschte jenseits der flackernden Flammen auf Lena ein. Es war zu dunkel, um ihre Augenbraue zu erkennen, aber sie lächelte. Ich hoffte, Christoph konnte das nicht sehen. Ich leerte den Becher, füllte ihn wieder und hob ihn kurz Richtung Christoph. Ich sah kurz die Tanzenden und Selina an, dann starrte ich wieder zu Robert und Lena. Er berührte sie wie zufällig am Knie. So plump! Sie lachte trotzdem.
    »Ist das deine Freundin?«, fragte Fabienne. Sie musste sich zu meinem Ohr beugen, um gegen die Musik anzukommen.
    »Nein.« Ich fragte nicht, wen sie meinte.
    »Aber du würdest gern?« Ich konnte ihren warmen Atem auf meinem Ohr spüren. Ihre Lippen berührten mich fast, und ich spürte einen Schauer über meinen Rücken laufen.
    »Es ist kompliziert.«
    »Warum?«
    Einen Moment überlegte ich, was ich antworten sollte. Ich hätte gleich Nein sagen sollen.
    Hätte, hätte, Fahrradkette.
    Weil ich nicht über Christoph reden wollte, rettete ich mich in eine Gegenfrage: »Hast du einen Freund?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Es ist kompliziert.« Sie lächelte, und in ihren dunklen Augen blitzte Schalk.
    Ich lachte.
    »Und wenn es kompliziert ist, ist es falsch«, sagte sie. Vielleicht sagte sie auch etwas ganz anderes, aber das verstand ich. Und in meinem Kopf legte sich irgendein Schalter um. Christoph war tot, und Maik hatte recht, sterben konnte man jeden Tag. Bis dahin musste man leben. Mir fiel ein Spruch ein, den ich mal gehört hatte: Ich glaube an ein Leben vor dem Tod.
    Und ich glaubte.
    Ich wollte alles aufsaugen, wollte tanzen und rennen und grölen, wollte in die Nacht schreien, dass ich noch lebte, dass ich hier war und nicht freiwillig gehen würde. Ich stürzte den Wein aus meinem Becher hinunter, Tropfen rannen mir rechts und links über die Wangen. Dann schrie ich: »Du kriegst mich nicht!« in den schwarzen Himmel über uns.
    Und lachte dabei.
    Der Wein explodierte in meinem Kopf und raste kribbelnd durch meinen Körper. Es

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