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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Flehen schien die Frau noch mehr zu verstören als mein Ausraster eben. Menschen rasteten nun mal manchmal aus, aber niemand bettelte so aufgebracht um einen Plastikbeutel. Sie musste uns alle für durchgeknallt halten.
    »Bitte!«, drängte Lena noch einmal, und endlich bewegte sich die Frau.
    Wir hatten Glück, Lena hätte es vielleicht sogar Schicksal genannt, wenn man an unsere Diskussion auf dem Friedhof zurückdachte. So oder so, die Frau kam vom Einkaufen. Eingeschüchtert leerte sie einen Plastikbeutel in den Kofferraum, Obst polterte heraus, Marmelade, Käse, Wurst, Nudeln und anderes. Lenas Augen leuchteten bei dem Anblick hungrig auf.
    Als die Frau unentschlossen nach dem zweiten Beutel griff, riss ihr Lena diesen noch gefüllt aus der Hand und sprang damit zum gestürzten Motorrad hinüber.
    »Das ist …«, hauchte die Frau, aber sie protestierte nicht länger und schon gar nicht laut. Leise klappte sie den Kofferraum zu und schlich zur Fahrertür, den Blick ängstlich auf Lena, Selina und Maik gerichtet, die auf der Straße knieten und sich um irgendwas in den Satteltaschen kümmerten, sie konnte ja nicht wissen, um was. Vielleicht dachte sie an kleine Haustiere, die wir mitführten, Fische möglicherweise, vielleicht an gar nichts. Vielleicht reichte ihr die Erklärung, dass wir alle verrückt waren.
    Ich stand noch immer einfach da und tat nichts.
    Als sie die Tür öffnete, konnte man das Weinen der Kinder hören, und sie zuckte zusammen. Die drei am Motorrad scherte das nicht. Sie drehte sich zu mir um, als wäre ihr plötzlich wieder eingefallen, dass ich auch noch da war, der Typ, der sie angegriffen hatte. Selbst auf die Entfernung konnte ich sehen, dass sie zitterte und schwer atmete.
    Ich versuchte ein Lächeln. Obwohl sie zwei von uns angefahren hatte, fühlte ich mich schuldig. Sie wohl auch, denn sie erwiderte das Lächeln ebenso verwirrt und hilflos.
    »Sorry«, sagte ich, das französische Wort dafür wollte mir nicht einfallen, mein Kopf war leer.
    Sie nickte und stieg ein. Langsam fuhr sie davon und machte einen großen Bogen um Lenas Roller, der noch immer auf der Fahrbahn stand.
    Ich ging rüber und schob ihn an den Straßenrand. Weil wir kein Warndreieck hatten, stellte ich mich ein Stück weiter vorn auf und warnte Autofahrer mit den Händen, damit sie abbremsten. Es war nicht viel los, nur zwei oder drei Wagen kamen, aber die achteten alle auf die liegende Maschine und die daneben kauernden Gestalten. Einer hielt mit laufendem Motor an und fragte etwas, das ich auf die Entfernung nicht verstehen konnte. Maik schüttelte den Kopf und winkte ihn weiter. Hoffentlich rief niemand die Bullen.
    Als die drei endlich die Maschine aufrichteten, ging ich zu ihnen.
    »Habt ihr alles?«, fragte ich.
    »So gut wie. Ein bisschen hängt noch in den Ecken der Satteltasche«, sagte Selina. »Das schütteln wir direkt ins Meer aus.«
    Ich ließ den Blick über den Asphalt wandern, Asche war keine zu sehen.
    »Wenn etwas rausgestaubt ist, muss es sich selbst den Weg suchen«, sagte Maik.
    Selina sah mich scharf an, und ich sagte: »Tut mir leid.«
    »Hoffentlich.«
    »Wie geht’s deinem Kopf?«, fragte ich.
    »Wieso?«
    »Bist du nicht draufgefallen?«
    »Ach so, ja. Ist okay, nur der Ellbogen tut weh.« Zum aufgeschürften Unterarm sagte sie nichts.
    Auch Maik sagte, dass es ihm gut ging. »Das Bein kommt schon wieder in Ordnung, ich muss es einfach nur belasten.«
    Er musterte das Motorrad, Lenker, Speichen und Kette. Nichts schien verbogen. Als er es anließ, klang es normal.
    »Also, weiter.«

25
    Allzu weit kamen wir nicht. Nach nicht einmal zehn Minuten bog Maik hinter einer Brücke in einen Feldweg, der in kurzem Bogen an einen keine zehn Meter breiten Bach führte. Dort hielt er an, um sich die schmerzende Hand zu kühlen. Jenseits der Brücke gab es einen kleinen Wasserfall, hier plätscherte das Wasser noch gemütlich vor sich hin. Die Äste der Bäume am anderen Ufer hingen bis in die Wellen hinab.
    »Schlimm?«, fragte Selina.
    »Nur geprellt, schätze ich.« Er schüttelte den Kopf.
    »Ist dir übel?«, fragte sie, weil das ein Anzeichen für Brüche war.
    »Nein.«
    »Gut. Und was ist mit deinem Fuß?« Sie klang sachlich wie eine Ärztin.
    »Geht schon«, sagte er, obwohl wir alle gesehen hatten, dass er die drei Schritte zum Wasser gehinkt hatte. »Trotzdem hätte ich nichts gegen eine kleine Pause und einen Happen zu essen. Was war denn im Beutel der Tusse, Lena?«
    »Ich hab nicht

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