Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
schon, aber ich hab Polaco nicht zufällig getroffen, sondern absichtlich. So wie Mauricio und ich es abgesprochen hatten. Wir wussten nämlich, dass Polaco ein Geheimnis nicht für sich behalten kann. Außerdem war es so glaubwürdiger.«
»Ihr beide habt euch das ausgedacht?«, sagt Fernando, und Cristo glaubt einen Hauch von Eifersucht zu spüren.
»Wir und der da«, bestätigt Ruso und zeigt auf Cristo, der mit den Schultern zuckt wie die Unschuld vom Lande.
»Dann hast du alles gewusst? Auch das mit der Unterschrift meiner Mutter?«
»Klar hab ich’s gewusst. Wichtig war nur, dass du es nicht weißt. Damit deine Wut echt wirkt. Deine und die von Pittilanga natürlich.«
»Pittilanga habt ihr auch nicht eingeweiht?«
»Nein, wir brauchten ein Gleichgewicht.« Ruso hebt beide Hände auf dieselbe Höhe, um es zu veranschaulichen. »Dass einige es wissen und andere nicht. Dass einige schauspielern und andere spontan reagieren.«
»Polaco?«
»Nein, dem kann man doch nichts erzählen. Als ich ihn im Supermarkt getroffen habe, hat es keine zwei Minuten gedauert, bis er alles ausgespuckt hat, obwohl Mauricio ihn inständig gebeten hat, nichts zu verraten.«
»Wie? Du hast das alles ausgeheckt?« Zum ersten Mal wendet sich Fernando an Mauricio.
»Nein. Als ich Polaco gesagt hab, er soll den Mund halten, gab es noch keinen Plan.«
»Lass mich dir eins erklären«, hebt Ruso an, und Cristo ist erleichtert, weil die Dinge jetzt ihren Gang nehmen. »Ich war derjenige, der zu deiner Mutter gefahren ist, gestern, und sie hat die Vollmacht unterschrieben, ohne irgendwas zu fragen.«
»Sie hat unterschrieben, ohne mich zu fragen?« Fernando klingt gekränkt.
»Sie ist davon ausgegangen, dass es mit dir abgesprochen war.«
»Sie hätte mich anrufen können.«
»Ging nicht.« Ruso zeigt auf Cristo, der es als Aufforderung versteht, seinen Teil der Geschichte beizutragen.
»Um Komplikationen zu vermeiden, haben wir ihr Telefon abgestellt.«
»Wie, abgestellt?«
Cristo macht eine Schnittbewegung.
»Ist schon wieder repariert, keine Angst«, fügt er hinzu.
»Und wenn ein Notfall eingetreten wäre und sie dringend hätte telefonieren müssen?«
Ruso und Cristo sehen sich an und wissen nicht, was sie antworten sollen.
»Ich hab sie vorgestern besucht«, sagt Cristo schließlich. »Da sah sie quicklebendig aus. Deine Mutter hat eine eiserne Konstitution, Fernando.«
»Und jetzt hör auf, uns ständig zu unterbrechen«, ergreift Ruso wieder das Wort. »Also, wir treffen uns mit den Arabern, und du bist fest davon überzeugt, dass Mauricio uns reingelegt hat. Als er die neue Vollmacht rausholt –«
»Moment. Williams hat doch mittendrin angerufen.«
»Papperlapapp, das war nicht Williams. Das war Mauricio. Von der Rezeption aus.«
»Wozu?«
»Mein Gott! Damit es so aussieht, als würde der Typ uns im letzten Moment das Geschäft versauen. Damit deine Wut echt ist. Weißt du noch, wie er dich angeschaut hat, Mauricio?«
»Hätte er ein Messer in der Hand gehabt, hätte er zugestochen.«
Ruso formt mit den Fingern ein Quadrat wie ein Filmregisseur. »Wir brauchten dein Wutgesicht. In Großaufnahme.«
»Ihr hättet es mir sagen können.«
»Falsch. Du bist zu gutmütig.«
»Zu dämlich, wolltest du sagen.«
»Das auch. Aber vor allem bist du kein guter Schauspieler. Man hätte es dir angemerkt.«
»Moment«, sagt Fernando und legt die Hände flach auf den Tisch. »Ich hab genau gesehen, wie du rot angelaufen bist, als das Handy geklingelt hat.«
Ruso sieht zu Cristo und zieht die Augenbrauen hoch. Cristo lächelt anerkennend zurück.
»Weil ich die Luft angehalten habe. Und ein bisschen den Darm zusammengepresst. Eine Meisterleistung«, lobt Ruso sich selbst.
»Aber als du aufgelegt hast, hattest du Tränen in den Augen.«
Ruso sieht jetzt auch zu Mauricio, damit mehr Augenpaare den magischen Moment seiner Weihe bezeugen.
»Emotionales Gedächtnis. Schostakowitsch.«
»Stanislawski«, verbessert Cristo.
»Genau. Stanislawski.«
»Du hättest es mir sagen können«, wiederholt Fernando. »Cristo hast du’s ja auch gesagt.«
»Cristo musste ich es sagen, schließlich brauchte ich einen Verbündeten, falls die Situation aus dem Ruder läuft! Aber Pittilanga wusste nicht Bescheid. Und die Araber auch nicht.«
»Na super. Dann war ich ja genauso ignorant wie unser junger Freund, der nichts anderes kann, als gegen einen Ball zu treten, und drei Araber, die keinen blassen Schimmer davon haben, was
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