Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
Knüppel zwischen die Beine wirft, wenn wir Guadalupe besuchen wollen. Aus der Traum.«
»Und was gedenkt ihr jetzt zu tun, um die Kleine zu sehen?«, fragt Cristo.
Fernando verzieht das Gesicht. »Wird eben wieder ein Riesenstress. Vielleicht müssen wir sogar erneut vor Gericht, um unser Besuchsrecht durchzusetzen.«
»Warum das?«
»Bei meiner Mutter gibt es kein Problem, sie ist die Oma. Aber ich bin nur der Onkel, das ist was ganz anderes. Ganz zu schweigen von dem da.«
Fernando zeigt auf Ruso, der es als Nichtverwandter noch schwerer haben wird.
»Und wenn ihr einen Anwalt einschaltet?«, hakt Cristo nach, als fiele es ihm schwer zu akzeptieren, dass Justiz und gesunder Menschenverstand sich so schlecht vertragen.
»Lass uns lieber nicht über Anwälte reden«, sagt Fernando, der am Ende ist, fertig mit der Welt.
»Mit Pittilanga hast du nicht mehr gesprochen, oder?«, fragt Cristo nach einer Weile seinen Freund.
»Wann soll ich mit ihm gesprochen haben?«, fragt Ruso zurück.
»Weiß nicht … Als sie uns rausgeworfen haben.«
»Ich war vollauf damit beschäftigt, mich von einem Orang-Utan am Hemdkragen wegschleifen zu lassen, damit er mir auf Arabisch den Arsch aufreißen kann. Deshalb hatte ich leider keine Zeit, mit dem Jungen zu sprechen, mein lieber Cristo.« Ruso pult eine Krume heraus, die ihm zwischen den Zähnen hängengeblieben ist. »Jetzt müssen wir sehen, was weiter passiert.«
»Was müssen wir sehen?«, fragt Fernando.
»Nichts. Wir müssen eben sehen.«
»Du sprichst in Rätseln.«
»Ich? In Rätseln?« Ruso wendet sich schutzsuchend Cristo zu.
»Na ja, ein bisschen schon.«
Ruso zuckt nur mit den Schultern und schweigt wieder, bis Cristo auf den Bürgersteig gegenüber zeigt. »Da sind sie.«
Auf der anderen Straßenseite geben Salvatierra und Mauricio sich die Hand. Salvatierra verschwindet wieder in dem Gebäude, während Mauricio sich suchend umblickt. Dann überquert er die Straße auf argentinische Art, sprich: schlängelt sich ohne auf Grün zu warten zwischen den Autos hindurch. Fernando meint ein leichtes Hinken wahrzunehmen und erinnert sich an Pittilangas Tritte.
»Kommt er etwa hierher?«, fragt Fernando verdutzt.
»Scheint so«, bestätigt Ruso.
»Ich fass es nicht.« Cristo drückt das Gesicht an die Scheibe, um besser sehen zu können. Dann steht er auf und legt seine Hand auf Rusos Arm. »Er kommt tatsächlich hierher, Ruso. Tu jetzt nichts Unüberlegtes.«
Fernando überlegt, ob er eingreifen soll. Sich hinter verschlossenen Türen mit dem Arschloch von Mauricio zu prügeln, ist eine Sache, sich mitten in einem Café zu kloppen eine ganz andere. Wenn sie nicht aufpassen, landen sie noch im Knast. Ruso reißt sich zwar nicht von Cristo los, starrt aber Mauricio an. Ihre Blicke treffen sich. Fernando nimmt etwas Merkwürdiges wahr. Merkwürdig angesichts der Ausgangslage: Ruso sieht ruhig aus, fast zufrieden.
»Was ist denn mit dir los?«, fragt Fernando und sieht zu Cristo hinüber, ob der ihm die Frage beantworten kann. Aber der schaut genauso verdattert drein.
In diesem Augenblick betritt Mauricio die Bar und kommt direkt auf den Tisch zu, an dem sie sitzen. Entweder hat Cristo in seiner Verblüffung den Griff gelockert oder Ruso hat seine Anstrengung verstärkt, jedenfalls springt er endgültig auf und eilt Mauricio entgegen. Fernando bleibt sitzen. Cristo will sich ebenfalls erheben, bleibt aber zwischen dem Tisch und dem Stuhl, auf dem Ruso gerade noch gesessen hat, stecken.
»Halt, Ruso! Beruhig dich!«, ruft er ihm hinterher.
Als noch rund drei Meter zwischen ihnen liegen, bleiben Ruso und Mauricio stehen. Es ist Fernando nicht bewusst, aber er spürt etwas, das er nicht mehr gespürt hat, seit er elf Jahre alt war: den Wunsch, den tiefen, archaischen Wunsch, dass sein Freund dem Oberarschloch der Schule die Fresse poliert; dass Mauricio aus der Nase blutet und heult; dass er für all die Erniedrigung, all den Egoismus bezahlt. Ebenfalls nicht bewusst ist ihm, dass er die Fäuste geballt hat, als erwarte er jeden Moment den ersten Schlag. Ruso ist zwar nicht so groß und schwer wie Pittilanga, aber sich prügeln, das konnte er schon immer. Außerdem wirkt Mauricio angeschlagen. Er hat einen Kratzer auf der Stirn und einen auf dem Kinn. Sein zerknitterter Anzug verbirgt wahrscheinlich so einige blaue Flecken. Gib’s ihm, Ruso, denkt Fernando, gib’s ihm so richtig, damit diesem Arschloch sein selbstgefälliges Lächeln vergeht.
Aber es kommt
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