Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
die Frage im Raum stand wie ein giftiger Geist. Giftig und stumm, denn keiner hatte das Thema je aufs Tapet gebracht, keiner hatte die Frage je wieder berührt, seit Mono sie gefragt hatte, ob er mit Lourdes zusammenziehen sollte oder nicht. Jeder für sich hatte das Baby unter die Lupe genommen, hatte unbeholfen versucht, irgendwelche Ähnlichkeiten zu entdecken, ohne den Schweizer zu kennen, also ohne Vergleichsmöglichkeit. Jeder für sich hatte sich aus tiefstem Herzen gewünscht, dass die Kleine von Mono war, weil sie ihn liebten und ihm eine weitere brutale Enttäuschung ersparen wollten. »Außerdem wird dich der Prozess um das Sorgerecht ein Vermögen kosten«, setzte Mauricio noch einen drauf.
Mono sah sie nicht an. Er starrte weiterhin auf die Fliesen im Hof, wo sie saßen, weil es Oktober war und schon angenehm warm. Er griff sich die Flasche Fernet, die noch halb voll war, und trank, als wäre es Wasser. »Langsam, Mann, sonst stürzt du noch völlig ab«, sagte Fernando ohne Nachdruck. Mono verschluckte sich, hustete und spuckte einen Teil wieder aus. Er schnaufte, fand seinen Atem wieder, schloss die Augen und setzte die Flasche erneut an. Als er sie leergetrunken hatte, warf er sie an die Wand, aber sie landete in einem Lorbeerbusch, dessen Zweige den Aufprall abfederten, so dass sie nicht zu Bruch ging.
»Scheiße«, sagte Mono. Mauricio packte eine neue Flasche am Hals und drehte den Verschluss auf. »Ich mein’s ernst«, sagte er, als wollte er zu verstehen geben, dass seine Bemerkung eine Antwort verdient hatte, trotz des halben Liters Fernets, den Mono sich gerade hinter die Binde gekippt hatte. »Und du? Was denkst du?«, fragte Mono seinen Bruder. Fernando zog den Rotz hoch. Ihm war auf den Steinfliesen kalt geworden. »Könnte was dran sein, an dem, was Mauricio sagt«, antwortete er schließlich resigniert, als wäre er in die Enge getrieben worden und hätte keine Lust mehr wegzurennen.
»Ich will was sagen«, kündigte Ruso an, der am wenigsten getrunken hatte, weil ihm Alkohol nicht bekam, ihn eher traurig machte als aufputschte. Er räusperte sich, wartete. »Sag schon«, forderte ihn Mono auf. »Raus damit«, bekräftigte Mauricio.
»Ich muss was sagen«, wiederholte er, aber nicht, weil ihm der Alkohol das Gehirn vernebelt hatte, sondern weil er eine große Scheu empfand, das Thema anzusprechen. Er räusperte sich noch einmal. »Ich mache mir viele Gedanken über Kinder. Leibliche Kinder, adoptierte Kinder. Wegen meines Bruders. Dass seine Frau keine kriegen konnte und sie adoptieren mussten.«
»Die Kinder deines Bruders sind adoptiert?«, fragte Mauricio trüb. »Mann, weißt du das nicht oder bist du so blau, dass du dich nicht mehr erinnerst?« Mauricio blinzelte, als wüsste er nicht, was überhaupt die Frage war. »Und wisst ihr, woran ich da gedacht hab?«, fuhr Ruso fort. »Nein, woran?«, fragte Mono. »An die Rusitas hab ich gedacht. An meine Mädchen.
Wenn man mir heute, wo die Rusitas drei sind, sagt, dass die Mädchen nicht von mir sind, sondern von einem anderen, wär mir das scheißegal, kapiert ihr? Weil, die Windeln hab ich den beiden gewechselt, das Fläschchen hab ich den beiden gegeben, in den Schlaf gesungen hab ich die beiden. Was juckt mich, aus welchen Spermien sie entstanden sind? Sie sind nicht deswegen meine Töchter. Sondern wegen dem anderen.«
Alle schwiegen. Mono richtete sich auf, trat dabei gegen ein Glas, das umkippte und über die Fliesen rollte, krabbelte auf allen vieren zur gegenüberliegenden Wand und umarmte seinen besten Freund.
52
Als Fernando das Hupen hört, klopft er die Hosentaschen seiner Jeans ab, um sich zu vergewissern, dass er alles dabeihat. Dokumente, ein bisschen Kleingeld, ein paar Scheine. Er öffnet die Tür. Draußen glänzt Mauricios Wagen in der Sonne. Hinten sitzt Guadalupe, winkt und lächelt. Daneben Ruso, der ebenfalls lächelt.
Als er um den Audi herumgeht, fällt ihm auf, dass man ihm seinen Sitz freigehalten hat. Das freut ihn. Irgendwann hat er mal mit Mauricio über das Thema Traditionen diskutiert. Wer was gesagt hat, weiß er nicht mehr, aber heute wird ihm bewusst, wozu Traditionen gut sind. Damit die Welt etwas freundlicher, vorhersehbarer, vertrauenswürdiger ist. So muss es sein, wenn sie ins Stadion fahren: Mauricio am Steuer, er neben ihm, Ruso hinten. Und dort, wo immer Mono gesessen hat, Guadalupe. Nicht schlecht.
»Hallo, Onkel Fernando.«
»Hallo, meine Hübsche.«
»Stimmt es, dass wir jetzt
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