Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
von Misstrauen. Aber er antwortet. »Was weiß ich. Wie immer.«
Pittilanga starrt seine verdreckten Fußballschuhe an, zupft einen losen Faden aus seinem Strumpf, klopft auf dem Boden unter der Auswechselbank seine Stollen ab. Da hat Ruso eine Idee, vielleicht nicht die beste, aber immerhin eine Idee. Der Junge soll selber erzählen. Vielleicht ergibt sich dabei eine Gelegenheit.
»Sag mal, Mario. Wie siehst du dich selbst?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wie du dich siehst. Als Fußballspieler. Was deine Karriere angeht.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Auf gar nichts, mein Junge. Interessiert mich einfach. Wenn ich wissen will, wie’s dir geht, wen soll ich da fragen, wenn nicht dich?«
Pittilanga setzt sich etwas anders hin, sieht in Richtung Kabinentür. Er fühlt sich unwohl, denkt Ruso, so allein mit einem fremden Menschen.
»Was weiß ich … Was soll ich da sagen …«
Ich weiß es auch nicht, denkt Ruso, aber du musst mir eine Brücke schlagen, damit ich das Thema anschneiden kann, ohne dass du sauer wirst und mich zum Teufel jagst.
»Wie sieht’s aus mit deinen Plänen? Als Fußballer, mein ich. Bist du hier zufrieden? Würdest du lieber bei einem größeren Club spielen? Wieder bei Platense, zum Beispiel?«
»Ja klar. Darauf arbeite ich hin. Jeder Spieler will in seiner Karriere was erreichen.«
Standardantwort eines Spielers, der es geschafft hat oder kurz davor steht, es zu schaffen, denkt Ruso. Und Pittilanga ist weder das eine noch das andere. Ruso ist also wieder bei null.
»Und Sie? Wie sehen Sie mich?«, geht Pittilanga zum Gegenangriff über. Ruso erschrickt über diese unerwartete Initiative.
»Ich?«
»Ja, Sie.«
Ruso wird klar, dass er sich selbst in die Bredouille gebracht hat.
»Na ja, was soll ich sagen …«
»Sagen Sie einfach, was Sie denken.«
Ruso zögert, fuchtelt mit den Händen. Dann fängt er an. »Ich sehe, dass du es wirklich willst, dass du dich ernsthaft bemühst, dich im Training richtig reinhängst.«
Ganz schlechter Start. Auch er produziert nur Worthülsen.
»Aber ich bin ein Desaster.«
»Ein Desaster? Nein. Wieso?«
»Was bin ich dann?«
Du bist eine Mogelpackung, ein Rumpelfüßler, ein Dreihunderttausenddollarreinfall, denkt Ruso.
»Äh … Du bist ein junger Kerl, der noch dazulernen muss, der seinen Weg sucht, der den Sprung in den Profifußball schaffen will. Das bist du.«
Pittilanga lächelt freudlos, bückt sich, um die Schnürsenkel seiner Fußballschuhe zu lösen. »Warum sagen Sie mir nicht die Wahrheit?«
In Pittilangas Stimme liegt jetzt etwas Resigniertes. Er hat die Deckung gesenkt, die Tür zur Wahrheit aufgestoßen. Ruso beschließt, die Gunst der Stunde zu nutzen, bevor sich diese schwachsinnige Idee, die ihn erneut nach Santiago del Estero geführt hat, als das erweist, was sie ist: eine schwachsinnige Idee.
»Meiner Meinung nach liegt es weder an deiner Einstellung noch an deiner Technik noch an deiner Fitness.«
»Woran dann?«
Ruso sucht nach den richtigen Worten, findet sie aber nicht. »Ich hab dich mir angeschaut, gründlich angeschaut. Neulich, als wir zu dritt da waren, in 9 de Julio. Und auch heute.«
»Und?«
Jetzt oder nie.
»Hast du schon mal daran gedacht, als Verteidiger zu spielen?«
Pittilanga runzelt die Stirn, aber er ist nicht sauer – noch nicht, denkt Ruso –, sondern vor allem verblüfft.
»Wie, als Verteidiger?«
»Als Verteidiger, Junge. Du weißt doch, was ein Verteidiger ist. Als Innenverteidiger, um genau zu sein.«
»Natürlich weiß ich, was ein Verteidiger ist! Wollen Sie mich verarschen? Verteidiger? Ich? Ich bin Stürmer. War immer Stürmer. Schon als kleiner Knirps.« Jetzt schwingt in seiner Stimme Ungeduld mit, Stolz, auch Ärger.
»Nicht aufregen, Mario, vergiss es einfach.« Ruso hebt die Arme, um die Situation zu entschärfen. Aber es ist nur eine Geste. Er weiß, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt.
»Sie kommen hierher, quatschen mich voll, spielen den Dummen und schlagen mir dann aus heiterem Himmel vor, ich soll’s mal als Verteidiger probieren. Sagen Sie doch gleich, dass Sie mich für einen Loser halten. Einen totalen Loser. Ist auch schon egal.«
»Noch mal: Hast du’s schon mal probiert?«
»Hab ich nicht und werd ich auch nicht!«
»He, he, he … Ist ja gut. Reg dich nicht auf, Junge.«
»Ich soll mich nicht aufregen? Sind Sie mein Berater oder sind Sie mein Feind? Ah, jetzt verstehe ich …« Pittilanga kneift die Augen zusammen und nickt, als wäre ihm etwas
Weitere Kostenlose Bücher