Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
kann.«
»Genau deswegen …«
»Von denen, die in der C-Jugend mit mir angefangen haben, wissen Sie, wie viele davon heute noch dabei sind?«
»Ich versteh dich, wirklich …«
»Drei. Gerade mal drei. Dabei waren viele von denen besser als ich, richtige Cracks. Und trotzdem haben sie irgendwann einen Tritt in den Arsch gekriegt.«
»Wer sagt dir, dass du nicht bald selbst an der Reihe bist?«
Ruso will Pittilanga nicht beleidigen. Und Pittilanga versteht es auch so. Er schweigt nicht, weil er sich ärgert, sondern weil ihm keine Argumente mehr einfallen.
»Stand heute: Glaubst du, es reicht für die erste Liga?«
»Für die erste Liga vielleicht nicht. Aber für die zweite. Dort würde das Geld auch stimmen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Weil es Ihnen nichts nützt. Wenn ich immer nur um den Aufstieg mitspiele, verdienen Sie nicht so viel an mir.«
»Und du glaubst, du würdest gut verdienen, oder was?«
»Das nicht. Aber es würde reichen, um eine Weile weiterzumachen.«
»Und dann? Ich sag dir, was dann ist. Dann steckst du in der Sackgasse. Dann stehst du vor dem Nichts. Oder willst du vielleicht einen Kiosk aufmachen?«
»Warum nicht?«, begehrt Pittilanga auf. »So ein Kiosk ist eine ehrenwerte Sache! Sie haben ja keine Ahnung, wo ich herkomme. Keine Ahnung haben Sie. Für Sie ist ein Kiosk ein Scheiß, aber für mich wär’s voll okay.«
Gar nicht dumm, der Junge, denkt Ruso und bedauert, so unklug vorgegangen zu sein. Er wollte ihn mit dem Kiosk nicht kränken. Jeder hat eben seinen Horizont.
»Was ich sagen will«, erklärt Ruso besänftigend: »Du hast eine echte Chance. Vorausgesetzt, du bist flexibel.«
»Sicher. Indem ich mich aufopfere und zum Verteidiger mutiere. Der neue Pasarella.«
»Warum nicht?«
»Weil ich nicht zum Verteidiger tauge.«
»Zum Stürmer auch nicht. Oder siehst du das anders?«
»Sie können mich mal.«
»Was hast du zu verlieren?«
»Zeit. Chancen.«
»Chancen?«, erwidert Ruso mit Ironie in der Stimme. Er zeigt auf die mickrige Tribüne, den trostlosen Rasen, den kaputten Zaun, die schwindsüchtigen Pappeln, die sich an der Mauer der Gegentribüne festzuhalten scheinen. »In diesem Scheißteam zu spielen, in diesem Scheißstadion: Das nennst du eine Chance?«
Pittilanga brummt verächtlich, spuckt auf den Boden. Eine Minute lang sehen beide zu, wie die Erde die Spucke aufsaugt.
»Statt dich aufzuregen, denk lieber mal ein bisschen nach. Willst du wirklich hier enden? Ich hab mir dich genau angesehen. Oder besser: wir. Mein Geschäftspartner Fernando hat ganze Partien gefilmt.«
»Ich weiß. Hab ihn gesehen.«
»Aha. Ich hab mir alle Aufnahmen angeschaut, von vorne bis hinten. Ich will hier nicht den Allwissenden spielen, aber ich glaub, ich weiß, wo das Problem liegt.«
»Ach, ja? Haben Sie’s gerochen, oder was?« Pittilanga zeigt auf Rusos Nase und lacht spöttisch.
Ruso bringen nur wenige Sachen auf die Palme, aber ein Kommentar über die Größe seiner Nase gehört dazu. Er spürt, wie die Wut in ihm hochkocht, eine Wut, die in den tiefsten Tiefen seiner Seele versteckt ist, die sich schon auf der Herfahrt bemerkbar gemacht hat, bei diesem sechzehnstündigen Höllentrip in einer Klapperkiste, und seither stetig gewachsen ist.
»Hör zu, Kleiner. Dafür brauch ich meine Nase nicht, da genügen meine Augen. Ich hab nämlich schon Fußball verfolgt, bevor du überhaupt an Fußball gedacht hast. Bevor du überhaupt geboren warst. Bevor der löchrige Präser fabriziert wurde, mit dem dein Alter dann dich fabriziert hat.« Ruso atmet tief durch. Was er gerade gesagt hat, tut ihm kein bisschen leid. Dieser Rotzlöffel.
»Von mir aus kannst du dir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag einbilden, ein guter Stürmer zu sein. Oder eher doch nicht, schließlich bist du nur noch ein knappes Jahr ausgeliehen, dann geht’s zurück zu Platense. Und dort wird dich keiner auch nur mit dem Arsch angucken. Im Gegenteil, rausschmeißen werden sie dich, und zwar hochkant.«
»Aber –«
»Nichts aber. Du und das Tor, ihr werdet in diesem Leben keine Freunde mehr.«
»Neulich hab ich einen reingemacht.«
»Ein Tor alle zehn Spiele. Und außerdem: Die Tore, die du machst, die mach ich auch. Mit diesem Bauch, mit diesen kaputten Knien und mit meinen einundvierzig Jährchen auf dem Buckel mach ich die.«
Die Tür geht auf, und heraus kommt Bermúdez, der ihnen zuwinkt und verschwindet. Ruso winkt zurück und sieht wieder Pittilanga an, der nach wie vor auf
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