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Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)

Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)

Titel: Vier Jungs auf einem Foto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Sacheri
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du nicht mal eine Runde mit mir drehen wolltest. Das wäre deine wirkliche Rettung gewesen, Ferchu. – Worüber lachst du?«
    »Über das Ferchu. War mal mein Spitzname. So hat mich schon ewig niemand mehr genannt.«
    »Deine Frau sagt nicht Ferchu zu dir?«
    Fernando hat keine Lust, Auskunft über sein Privatleben zu geben. »Nein. Sie sagt Fernando.«
    »Wie förmlich!«
    Da hat sie Recht. Vielleicht hab ich mich deshalb so schnell von ihr getrennt, denkt Fernando. Ein Auto fährt vorbei, darin eine Familie. Der Vater starrt Celeste lange an. Ebenso der Sohn, der hinter ihm sitzt. Sie müssen ein denkwürdiges Bild abgeben, wie sie da an einem Herbstnachmittag um halb vier am Kühler eines schicken Audi lehnen.
    »Arschlöcher«, schimpft Celeste. »Tun empört, aber von dreien, die einen anglotzen, kommt einer unter der Woche wieder und trieft vor Geilheit.«
    »Echt?«
    »Wenn ich’s dir sage.«
    Fernando bemerkt, dass Celeste ihre Fingernägel grellrot lackiert hat. »Schöne Fingernägel. Lässt du sie dir oft machen?«
    »Ah, ein Charmeur«, dankt sie mit einem strahlenden Lächeln. »Ich wohne mit einer Freundin zusammen, die hier ganz in der Nähe anschaffen geht. Wir helfen uns gegenseitig. Bei allem. Enthaarung, Fingernägel … Sonst: Oje, oje!«
    »Kann ich mir vorstellen.«
    Fernando sieht sie an. Denkt an den täglichen Aufwand, den Celeste betreiben muss, um Celeste zu sein. An die Kraft des Begehrens. Den unbedingten Willen, zu dem zu werden, der man sein will. Das Handy reißt ihn aus seinen Überlegungen. Bevor er irgendeinen Quatsch anstellt, lässt er lieber Celeste machen. Sie drückt irgendwohin und gibt ihm das Handy zurück.
    »Hallo«, sagt Fernando. »Ja. Hast du mit ihm gesprochen? Sicher? Ihm alles erklärt? Wenn nicht, dann … Mit wem muss ich sprechen? Nein, ich hab nichts zu schreiben. Warte …«
    »Sag’s einfach laut«, bietet Celeste an. »Ich hab ein fotografisches Gedächtnis. Sagt man das nicht so, wenn man sich an alles erinnert, was man hört?«
    »Terrada 2345!«
    »Terrada 2345. Gebongt.«
    »Ich ruf dich später noch mal an, Ruso. Und erklär dir alles.«
    Diesmal traut er sich, den roten Knopf zu drücken, um das Gespräch zu beenden. Dann gibt er Celeste das Handy zurück.
    »Was bin ich dir schuldig, meine Liebe?«
    »Gar nichts. War doch nur ein kleiner Gefallen.«
    »Nein, sag schon.«
    »Lässt du dir einen Gefallen bezahlen?«
    »Nein.«
    »Siehst du. Ich auch nicht.«
    »Aber ich hab bestimmt Kunden abgeschreckt.«
    »Ach was. War ’ ne kleine Erholungspause für mich.«

Zurückkehren
    Das Telefon klingelte, aber keiner der drei rührte sich, um ranzugehen. Irgendwann machte der Anrufbeantworter klick, aber der Anrufer hinterließ keine Nachricht. Fernando wusste nicht, ob er reden oder schweigen sollte. Was war so schlimm daran, IT -Ingenieur zu sein? Er verstand diese Identitätskrise seines Bruders nicht.
    »Schau mich nicht so an, Fernando. Versuch lieber, mich zu verstehen. Ich hab einfach das Gefühl, und das schon seit längerem …« Mono fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, als wären dort die Worte zu greifen, die er brauchte. »Kennst du das? Wenn du dich verirrst? Das merkt man ja nicht gleich. Man kommt nicht an eine Kreuzung und sagt: › Hier, genau hier, verirre ich mich gerade. ‹ Man geht weiter und weiter, glaubt, dass man einigermaßen richtig geht, bis man irgendwann innehält und sich sagt: › Ich hab mich verirrt. Ich hab keinen blassen Schimmer, wo ich bin. ‹ Genau so geht’s mir grade.«
    Fernando nickte, sagte aber immer noch nichts. Und nicht nur, weil er seinen Bruder nicht unterbrechen wollte, jetzt, wo er einen Weg gefunden hatte, sich die Sache von der Seele zu reden, sondern auch, weil er überrascht war. Er war nicht vorbereitet auf diesen Seelenstriptease. Oder vielmehr darauf, dass ausgerechnet Mono diesen Striptease hinlegte. Hätte Mauricio erzählt, was Mono gerade erzählt hatte: geschenkt. Mauricio war neurotisch genug, um mit so was anzukommen. Aber Mono? Seit wann machte sich sein Bruder so einen Kopf? Es hörte sich an, als würde Ruso einen Vortrag über den Existenzialismus bei Sartre halten. Beide waren einfache Menschen. Von einer Einfachheit, die Fernando großartig fand. Geradezu bewunderte. Da war nichts Gekünsteltes. Nichts Pseudokompliziertes. Die Dinge beim Namen nennen, das war ihr Motto. Fernando liebte sie genau deswegen, weil sie dem, was er unter Reinheit verstand, am nächsten kamen, auch

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