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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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Jetzt ist es eben umgekehrt:
Ich bin am Tag allein und in der Nacht mit euch zusammen.
    So notierte ich es in mein Tagebuch.
    Ich habe immer noch eine Familie. Jetzt ist sie nur eben unsichtbar .
    Daran erinnerte ich mich immer wieder selbst.
    Die wachen Stunden verbrachte ich lesend, schreibend, tagträumend. Geborgen und sicher in meiner selbstgeschaffenen Parallelwelt.
    Einatmen. Ausatmen.
    Die einzige Aufgabe, die ich gerade noch bewältigen konnte. Manchmal lobte ich mich dafür, dass ich sie so gut bewältigte. Es war ja schließlich nichts mehr selbstverständlich, jeder Atemzug eine Leistung.
    Ab und zu klopfte jemand an meine Tür. Nachbarn. Freunde, die mir etwas vorbeibringen oder nach mir sehen wollten. Es erschien mir wie ein Zeichen aus einer anderen Welt, die mir zurufen wollte:
    Komm zurück! Du gehörst hierher!
    Aber ich machte nicht auf. Noch war ich nicht bereit für die Welt, die auf mich wartete. Sie würde mir wehtun, das ahnte ich – allein schon deshalb, weil sie sich erbarmungslos weiterdrehte. Da draußen blieb die Zeit nicht stehen. Jede verrinnende Minute drohte mich ein Stück mehr von meinem früheren Leben und von meiner Familie zu trennen.
    Jemandem zu öffnen, der an meine Tür klopfte – gar mit ihm zu sprechen – hätte bedeutet, mich dem Leben zu öffnen. Genau das schien mir vorerst völlig unmöglich.
    Außerdem hatte ich Angst. Angst vor dem großen schwarzen Loch .

    »Warte nur, jetzt geht es dir noch scheinbar gut, aber das Loch kommt bestimmt.«
    Das hatten mir nicht wenige meiner Freunde vorausgesagt. Sie wollten damit gewiss keine düstere Prophezeiung abgeben, sondern mich vielmehr beruhigen:
    Du darfst abstürzen. Du darfst ins Loch fallen. Wir sind auch dann für dich da.
    Wie hatte man es sich vorzustellen, dieses Loch? Würde ich schreien und toben, wenn ich dort hineinfiele? Weinen, tagelang? Würde ich mich verletzen? Ich hatte keine Ahnung. Wusste nur: Ich will das alles nicht. Es war mir mehr als unheimlich. So zog ich es vor, lieber nichts zu riskieren. Im Bett würde mich das schwarze Loch nicht finden. Im Bett war alles gut und berechenbar.

    Am Nachmittag des 5. April 2008
     
    Das Wetter ist besser geworden. Draußen scheint die Sonne. Die Vorhänge meines Schlafzimmers sind fest zugezogen, so lässt es sich besser schlafen. Gerade habe ich ein paar Zeilen in mein Tagebuch notiert.
    Jetzt.
Jetzt spüre ich euch, eine Decke aus Licht.
Jetzt ist die Finsternis so weit, das sie gerade
nicht in meine Reichweite kommt.

Genug weit weg.
Jetzt seid ihr da. Jetzt bin ich in Sicherheit.
     
    Lasst es für immer Jetzt sein.
Lasst das Loch nicht zu tief werden.
Baut mir ein Fangnetz aus Licht und eurer
Behutsamkeit.
    Behutsam, als gälte ihm meine ganze Liebe, lege ich den Stift aufs Nachtkästchen und rolle mich zur Seite, um wieder ein wenig zu dösen. Da höre ich Schritte im Garten. Stimmen. Es klopft an die Tür.
    »Hallo?«, ruft jemand.
    Still! Keine Bewegung! Nur ja keinen Besuch, bitte!
    Es klopft noch einmal, lauter.
    »Hallo?«
    »Sie muss zu Hause sein. Ihr Auto steht ja vor der Tür.«
    Zwei Frauen. Ihre Stimmen sind so laut, dass ich jedes Wort verstehen kann. Noch ein Klopfen, dann höre ich, wie die Klinke heruntergedrückt wird.
    Oh, nein! Ich habe vergessen, abzusperren!
    »Hallo? Ist da jemand?«
    Die Stimmen kommen aus dem Stiegenhaus.
    »Sie ist zu Hause.«
    »Vielleicht schläft sie.«
    Ja, genau! Ich schlafe. Tief und fest. Ich bin nicht ansprechbar.
    Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Schritte auf der Treppe. Die Tür meines Schlafzimmers wird langsam und ganz leise geöffnet. Ich stelle mich tot.

    Nur ja nicht blinzeln!
    »Sie schläft«, flüstert die eine Besucherin.
    »Dann stellen wir die Schüssel eben vor die Tür«, antwortet die andere.
    Ich halte die Luft an, noch während die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wird. Die beiden Frauen durchqueren den Garten, aufmerksam lausche ich jedem ihrer Schritte. Erst als das Gartentor ins Schloss fällt, luge ich unter meiner Decke hervor.
    Das ist gerade noch einmal gut gegangen.
    Mit zitternden Knien schleiche ich zur Tür und öffne sie vorsichtig.
    Hoffentlich ist niemand mehr da.
    Auf der Schwelle steht eine Schüssel mit selbstgebackenen Keksen. Ich weiß nicht, von wem.
    Irgendwann werde ich herausfinden, wer die beiden Frauen waren. Mich bedanken. Irgendwann.
    Ich schiebe einen Keks in den Mund, und noch einen. Sie schmecken herrlich.
     
    Ich muss ein seltsames

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