Vier minus drei
setzen, dann lassen wir die Beine baumeln. Und nachher kaufen wir uns ein großes Eis.«
Ich setze mich. Lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Meinen Beinen befehle ich, ein wenig zu baumeln. Dabei streichle ich die unsichtbare Fini, die neben mir sitzt.
»Die Erde ist so schön, Fini«, flüstere ich. »Die Erde ist schön. Das Leben ist schön.«
Das Leben ist schön.
Ich wiederhole den Satz, als wäre er ein Gebet. Höre ich selbst, was ich da sage?
»Das Leben ist schön.«
Ja, ich beginne, mir selbst zuzuhören. Mir selbst zu glauben.
»Die Sonne ist schön. Die Wiese ist schön. Es lohnt sich, hier auf der Welt zu sein, sie hat so viel zu bieten.«
Ich weiß nicht, ob Fini mich hören kann. Aber die Worte entfalten ihre Wirkung. Eben noch innerlich taub und ohne Lebensenergie, begreife ich langsam, aber sicher die Botschaft. Es ist wahr, und es gilt genauso gut für mich. Sogar dann, wenn Fini beschließt zu sterben.
»Das Leben ist schön.«
Aus meinem Tagebuch
6.4.2008
Behutsam.
Zärtlich lege ich eure letzte Wäsche zusammen,
die noch am Trockner hing.
Neugeboren. Neugestorben. Neugeborgen.
In jedem Gedanken an euch denke ich so unend-
lich viel Liebe.
Die Liebe macht mich tanzen, den geschmeidigen
Tanz, der Leben heißt.
Alles rund. In mir.
Wenn ich von euch träume, ist es, als wärt ihr
noch konkret.
Das Aufwachen ist ein Schritt in eine andere Re-
alität.
Dieser Schritt ist mir manchmal zu groß.
Es könnte die Zeit kommen, wo ich euch fort-
schieben muss. Noch nicht jetzt.
Aber falls sie kommt:
Seid bitte nicht böse und BITTE! haltet euch
trotzdem bereit, zurückzukommen!
Nur im Moment bin ich so voll LIEBE, dass das
LEBEN keinen Platz in mir hat,
denn die Liebe ist bei euch im Himmel.
Wie soll ich das nur vereinen?
Ich möchte es lernen. Möchte bei euch sein UND
am Leben!
Möchte nicht tot sein, noch nicht.
MUSS mich ERDEn. Gehimmelt bin ich genug,
glaube ich.
Jetzt spüre ich meinen Popo am Bett, schön schwer.
Jetzt kribbeln meine Fußsohlen.
Jetzt freu ich mich auf morgen.
Jetzt sage ich Euch »Gute Nacht!«
Und küsse Euch zärtlich, behutsam, wild wirbelnd
mit schmatzendem Geräusch.
Groß war die Angst, das Bett zu verlassen. Das Leben mit all seinen Verpflichtungen und Ablenkungen – würde es einen Keil zwischen mich und meine Familie treiben? Die traute Viersamkeit zerreißen, die ich deutlich zu spüren meinte, solange ich nur stillhielt? Oder würde meine unsichtbare Familie mich nach draußen begleiten? Es fiel mir schwer, darauf zu vertrauen.
Aus meinem Tagebuch
16.4.2008
Leben anhalten.
Immer wieder.
Jetzt.
Euch in der Stille hören, aus der Ruhe.
Aber bitte, seid nicht nur Wesen der Stille.
Verlasst mich nicht im lauten Lachen.
Im Hämmern und Bohren.
Im Laufen und Tratschen.
Könnt ihr Teil, des Lebens sein, ihr bunten Bälle
aus Licht?
17.4.
Ihr habt mir heute Nacht eine Botschaft ge-
schickt:
»Häng nicht an dem, was war. Nimm uns so, wie
wir jetzt sind. Wir sind DA!«
Wenn ich zurückdenke, könnte es mir scheinen, als hätte ich wochenlang im Bett gelegen. Hungrig. Schwach. Voller Angst vor dem Leben.
Ein Blick in den Kalender straft mein Gedächtnis Lügen.
Es gab viel zu tun in jenen Tagen. Die Behörden warteten auf diverse Dokumente, um die Sterbeurkunden auszustellen. Mein Finanzberater pochte darauf, dringende versicherungstechnische Angelegenheiten mit mir zu besprechen. Mit meinem Anwalt hatte ich die Einreichung des Nachlasses in die Wege zu leiten.
Außerdem gab es da noch eine Eigentumswohnung, in der ich mit Heli und den Kindern jahrelang gewohnt hatte und die nun, seit unserem Umzug in das reizende alte Häuschen, der erst einige Wochen zurücklag, leer stand. Leer? Nun ja. Heli und ich hatten sie als Proberaum verwendet. Und als Lager für alles, was nicht ins neue Haus passte.
Spielzeug. Theaterrequisiten. Kleidung. Bürokram. Möbel. Bücher.
Die Wohnung musste geräumt und verkauft werden, und zwar bald. Ich konnte und wollte sie mir nicht mehr leisten. Ich hatte es eilig, vielleicht auch, weil ich im Verkauf der Wohnung eine Möglichkeit sah, meine Vergangenheit
loszulassen, Trauerarbeit zu leisten. Wie gern wollte ich das, in der Hoffnung, schneller zu sein als mein eigener Schmerz, der mir, das ahnte ich doch bereits, dicht auf den Fersen war.
Ich sehe mich im Kreis meiner Freundinnen schuften. Wände streichen. Kisten schleppen. Müll sortieren.
Weitere Kostenlose Bücher