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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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zu halten. Er will sehen . Wissen . Er will Beweise haben. Er sitzt hämisch grinsend in meinem Nacken und hört mit gespitzten Ohren zu, wenn ihn jemand anspricht.
    Zum Beispiel der Mitarbeiter, der am Karfreitag in der Kinderklinik zur Visite kam und mit kühlem Lächeln konstatierte:
    »Schön, dass Sie Ihrem Sohn Lieder vorsingen. Ich hoffe, Sie wissen, dass Sie das nur für sich tun. Sie tun es nicht für seine Seele. Denn die Seele sitzt im Gehirn, und das Gehirn Ihres Sohnes ist leider tot. Aber singen Sie ruhig weiter, wenn es Ihnen hilft.«
    Mein Verstand packt mein Herz und schüttelt es fest.
    Ha! Was sagst du jetzt?

    Mein Herz hält still. Erst in der Ruhe, wenn der Verstand schweigt, findet es seine Antworten.
    Es dankt den Menschen, die daran glauben, dass Biologie das Einzige ist, was zählt. Ohne diese Menschen gäbe es all die Medikamente und Maschinen nicht, die meine Kinder drei, vier Tage lang am Leben erhalten haben. Ohne sie hätte ich die wichtige Zeit im Krankenhaus nicht erleben dürfen, in der mein Herz Zwiesprache hielt mit zwei Seelen, die längst kein Gehirn mehr brauchten, um über den Himmel zu schweben.
    Mein Herz fragt sich, was diese Menschen, deren Verstand so groß und klug ist, am Bett ihrer sterbenden Kinder fühlen würden. Würden sie einen Weg aus der Verzweiflung finden? Könnten sie noch einen Sinn im Leben erkennen?
    Ja, meint mein Herz.
    In der Liebe zu den Menschen, die noch leben. In der Liebe zur Erde und ihren Geschöpfen. Sie würden Trost finden darin, dass auch ihr Leben irgendwann vorbei ist und dass es dann kein Ich mehr gibt, das Schmerz empfindet. Sie würden gerade deshalb beschließen, die verbleibende Zeit möglichst gut und sinnvoll zu nutzen.
    Mein Herz verneigt sich vor diesen Menschen und ihrem Mut. Dann blickt es nach oben, dorthin, wo es die Engel vermutet, die sich nicht fangen und nicht beweisen lassen. Es dankt dafür, dass es glauben kann und darf. Schließlich nimmt es den Verstand sanft an der Hand und flüstert ihm leise ein Geheimnis ins Ohr.
    Weißt du, was mir auffällt? Im Grunde glauben wir doch beide an etwas.

    Du glaubst daran, dass es nur das gibt, was man sieht. Ich glaube daran, dass es mehr gibt als das, was wir sehen können. Das, woran wir glauben, scheint uns zu trennen. Verbunden sind wir dennoch: durch die Tatsache, dass wir gern an etwas glauben.
    Und noch etwas verbindet uns, etwas, das mir wichtiger scheint als alles, was uns unterscheidet: die Liebe. Wir kennen sie beide, und beide glauben wir an sie. Du weißt, wie und wo sie sich zeigt, wie sie sich ausdrückt und wie sie sich beweisen lässt. Ich weiß, wo sie ist, wenn man sie gerade nicht sehen kann.
    Wie gut, dass es uns beide gibt, dich und mich!

Schwellenangst
    Aus meinem Tagebuch
    16.4.2008
    Heute ist ein komischer Tag. Es ist etwas Eigenartiges passiert. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass eure Seelen beginnen, zur nächsten Stufe weiterzugehen. Ein bisschen weiter weg vom ganz Irdischen.
    Eure Fotos erscheinen mir momentan so surreal. Ich versuche, hinter den Bildern, hinter dem konkreten Gefühl des »Eben wart ihr doch noch …« eure Seelen zu sehen, aber ich sehe vor allem die Diskrepanz zwischen dem, wie ihr wart, als ihr noch konkret wart, und dem nicht weniger realen, aber doch so anderen Jetzt. Ich wünsche und hoffe so sehr, dass sich eure Seelen nicht schneller wandeln, als ich es fassen kann. Ich brauche eure Begleitung so sehr!
    Der 21. Mai 2008
     
    Eine Stunde beim Osteopathen.
    Ich bin schon wieder in Therapie. Im Moment brauche ich alle Hilfe, die ich bekommen kann. Das Leben will so viel von mir!
    In meinem Keller hat es zu schimmeln begonnen. Im Garten steht das Gras kniehoch, der Rasenmäher springt nicht an. Zu allem Übel ist mir vor drei Tagen mitten in der Nacht ein Betrunkener ins parkende Auto gefahren. Totalschaden. Die Versicherung will mir nur einen läppischen Restwert bezahlen für meinen alten Mazda, der mir neun Jahre lang tapfer die Treue gehalten hat und noch vor einer Woche mit Bravour durch die TÜV-Prüfung gekommen ist.
    Es scheint mir, als hätte sich das ganze Universum gegen mich verschworen. Als würde es sich rächen wollen, dafür, dass ich es mir allzu lange in meinem Bett gemütlich gemacht habe.
    Aber ich habe keine Kraft! Ich bin noch nicht so weit! Was soll ich tun?
    Der Osteopath wartet, bis ich zu Ende erzählt habe, bis kein Wort mehr übrig ist in meinem Mund. Eine Weile ist es still. Mein Gegenüber macht

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