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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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Kinder sterben!«
    Es verschlägt mir die Sprache.
     
    Auf der Rückfahrt nehme ich mir fest vor, kein einziges Wort mit dem neuen Fahrer zu wechseln. Ich steige ins Auto, nenne das Ziel und gebe vor, eine SMS in mein Handy zu tippen.
    Der neue Fahrer hat ein freundliches Lächeln.
    »Haben Sie Kinder?«, fragt er ohne Umschweife, ich weiß nicht, warum. Vielleicht steht auf meiner Stirn etwas, wovon ich nichts weiß?
    »Nein.«
    Nein!
    Das kleine Wort rammt mir gnadenlos drei Messer in den Bauch.
    Ich schaue starr zum Fenster hinaus, lasse den Schmerz von meinem Körper Besitz ergreifen, ohne mich noch zu wehren. Endlich, endlich kann ich weinen.

Wiederkehr nicht ausgeschlossen
    Ich war zerrissen. Setzte alles daran, mein altes Leben wieder aufzunehmen und wusste doch, dass meine Bemühungen sinnlos waren. Die Grundmauern meines Daseins waren eingebrochen. Das Fundament zerborsten. Das Gebäude war nicht mehr stabil. Da halfen alle kosmetischen Maßnahmen nichts. Ich konnte mir die Tage noch so sehr vollstopfen mit gewohnten Ritualen, mit Clowneinsätzen, Vorstandssitzungen und Gartenarbeit. Das Vakuum in meinem Herzen ließ sich damit nicht füllen. Es wartete. Schmerzte. Und schrie.
    Was konnte ich tun?
    Neue Inhalte, die wollte ich mir allzu gern suchen. Ich übertraf mich selbst.
    Was wollte ich immer schon machen? Jetzt ist der Moment. Ich will alles, und das sofort.
    Ich nahm Trommelstunden. Sprechtechnikunterricht. Besuchte Seminare. Tanztheater, Schreibwerkstatt, Töpfern. Selbsterfahrung durch Tanz. Improvisationstheater. Ich kaufte mir sogar eine Jahreskarte für ein Fitnessstudio,
in dem ich jeden zweiten Vormittag trainierte, bis ich nicht mehr konnte.
    Daneben durchforstete ich das Internet nach Ausbildungen. In meinen Tagträumen wurde ich Shiatsutherapeutin. Physiotherapeutin. Psychotherapeutin. Tänzerin. Schriftstellerin. Musiktherapeutin. Opernsängerin. Trauergruppenleiterin. Am liebsten alles zugleich.
    Das Träumen gab mir Energie. Meine Aktivitäten halfen mir, die Zeit zu vertreiben. Doch sie konnten mich nicht wirklich erfüllen. Immer noch hatte ich das Gefühl, über der Erde zu schweben, an nichts wirklich teilzuhaben. Zuschauerin zu sein bei einem Stück, das Mein Leben hieß.
    Ich sehnte mich nach Sinn.
    »Ich trommle, weil …«
    … ich dann vergesse, wie traurig ich bin.
    »Ich tanze, weil …«
    … ich sonst meinen Körper verliere, irgendwo zwischen Himmel und Erde.
    »Ich trainiere, weil …«
    … mir, ehrlich gesagt, gerade nichts Besseres einfällt.
    »Ich will Therapeutin werden, weil …«
    … ich möchte, dass andere etwas von mir haben. Ich allein weiß nämlich nichts mehr mit mir anzufangen.
    Keine guten Antworten. Jedenfalls keine, die mich zufriedenstellten.
    Früher, da war alles einfacher gewesen. Ich hatte gearbeitet, um Geld für meine Familie zu verdienen. War morgens aufgestanden, um meinen Kindern das Frühstück zuzubereiten. Hatte gekocht, weil es Heli so gut schmeckte.
Hatte bei Freunden gesessen, um mit ihnen über Erziehungsfragen zu diskutieren.
    Familie. Das war der einzige Sinn, den ich mir überhaupt vorstellen konnte. Weiter reichte mein Horizont nicht. Ich musste mir die Zeit vertreiben, bis ich wieder Familie hatte. Vorher durfte ich nicht nach einem Sinn fragen.
    Doch woher sollte ich eine Familie nehmen, wo ich doch den Kontakt zu Menschen scheute? Wieder einmal suchte ich Halt an einem Strohhalm. Genauer: An einem Traum, in dem mir Fini erschienen war, wenige Tage vor dem Seelenfest:
    Ich bin bei meinem Kollegen Hannes zu Besuch, in seinem Haus, das ganz aus Holz besteht. Es ist warm und schön, ich fühle mich geborgen.
    »Komm mit, ich gebe dir Kuchen und Tee.«
    Manuela, Hannes’ Frau, führt mich in den Keller. Ich spüre ihre Hand fest in meiner. Ihre Finger streicheln mich. Ich schweige erwartungsvoll.
    »Komm! Weiter nach hinten.«
    Ich lasse mich in einem dunklen Winkel nieder. Manuela geht, um Kuchen zu holen.
    Der Keller verwandelt sich. Ich sitze in einer Bienenwabe. In einem ganzen Bienenstock. Tausend Waben. Honig. Goldenes Licht. Ich scheine zu fliegen, schwebe durch das Gebäude, werde in den hintersten Winkel getragen, an die Stelle, wo sonst die Bienenkönigin sitzt. Ich fühle mich wie in einem Mutterbauch.

    Plötzlich erscheint mir ein Lichtwesen. Ein Engel? Eine Fee?
    Fini!
    Meine Tochter, die gar nicht mehr klein ist, kein Kind, vielleicht nicht einmal ein Mensch, legt mir behutsam die Hand auf den Kopf. Segnet mich.

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