Vier minus drei
vorstellen wie eine Baumgruppe, die ganz nah beieinander steht. Die Bäume senken jeweils einen Ast zur Erde, so entstehen verschiedene Leben. Der Stamm ist immer
gleich, egal, welcher Ast gerade zu Boden geht. Manchmal senkt ein Baum zwei Äste gleichzeitig herab. Dann inkarnieren zwei Menschen, die aus einer Seele stammen. So war es bei Thimo und Ihnen. Thimo ist ein Teil Ihrer Seele.«
Gott, ist das schön. Ist das der Grund, warum Thimo mich immer schon am meisten herausgefordert hat? Ist das der Grund, warum ich durch ihn lerne, mir selbst zu verzeihen?
»Thimo kann Ihnen nicht fehlen. Er ist da.«
Das Bild von der Baumgruppe gefiel mir sehr. Ich stellte mir vor, dass wir uns alle wiedersehen würden, im nächsten, übernächsten Leben. Vielleicht würde ich ja Helis Mutter sein, das nächste Mal. Oder Thimos Tochter? Finis Schwester? Alle Varianten waren reizvoll. Hauptsache, wir wären wieder zusammen.
Ich hatte mir nicht viele Gedanken über Reinkarnation gemacht, früher, vor dem Tod meiner Familie. Windeln, Babybrei und Hausarbeit: Ich war viel zu beschäftigt gewesen, um über Glaubensfragen nachzudenken.
Nun allerdings war ich bereit, einfach alles zu glauben, was mir Hoffnung schenkte. Egal ob es aus dem Buddhismus stammte, aus der Bibel oder aus parawissenschaftlicher Forschungsliteratur. Es wäre nicht sinnvoll gewesen, zu zweifeln. Ich hatte am eigenen Leib erfahren, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gab, als sich beweisen ließ. Ich hatte Fini in einer Lichtblase am Himmel gesehen, am helllichten Tag. Ich hatte Traumbotschaften empfangen. Ich trug Helis unsichtbaren Mantel.
Manche Dinge kann man nicht beweisen. Man kann aber genauso wenig beweisen, dass es sie nicht gibt. So liegt es an mir, ob ich sie glauben will oder nicht. Ich entscheide mich dafür, alles zu glauben, was mir Hoffnung schenkt. Wem soll das schaden?
So dachte ich. Und glaubte an Engel. An Wiedergeburt. An Klarträume und Visionen. An Karma und Paralleluniversen. Und an Finis Versprechen.
»Ich habe die Erlaubnis bekommen, zu dir zurückzukommen, wenn du das möchtest.«
Bis heute hat mir noch niemand bewiesen, dass es all das nicht gibt. Daher glaube ich weiter und genieße die Freude, die mir mein Glauben bringt. Irgendwann werde ich erfahren, ob ich Recht gehabt habe. Dann werde ich über all meine Irrtümer lachen – oder darüber, dass ich jemals zweifelte.
Dass es nach meinem Tod ein Ich geben wird, das lachen kann, daran jedenfalls habe ich noch nie gezweifelt.
An Engel glauben
In meiner blondgelockten Fantasie
da hüpfen sie.
Da hören sie.
Da helfen sie.
Hüpfen über Wolkendecken,
leicht und barfuß durch die Luft,
schweben sacht an mir vorbei.
Hören mich in allen Ecken,
hören jeden, der sie ruft,
am Tag, in der Nacht – ganz einerlei.
Auch wenn ich nichts mehr weiß, nicht einmal
wie
ich sie um Hilfe bitten soll -
ihr Flügelhorn voll Himmelsmelodie,
ihr Hilfspaket ist immer voll.
Voll Eifer überlegen sie
für mich stets neu die beste Strategie.
Ich pfusche oft genug hinein mit meinem
»Willen«.
Sie sind nicht bös mit mir, und könnten’s
niemals sein,
und wollen jede Wunde, jeden Schmerz mir
stillen.
Und eine Tages möcht ich selber wieder einer
werden
und möcht auf einer riesenweißen Wolke hocken.
Und wünsch mir, dass Ihr an mich glaubt, die Ihr
dann wohnt auf Erden -
vielleicht sogar an meine blonden Locken.
So lag ich wieder einmal im Gras neben dem Bahnübergang und sprach mit Fini über ihre mögliche Wiederkehr. Ich versicherte ihr, dass ich alles tun würde, um sie auf gute Weise wieder zu empfangen. Dabei wurde mir bewusst, dass mein Bauch eine ganz wichtige Rolle dabei spielen würde, und ich begriff auch, dass ich endlich wieder anfangen musste, regelmäßig zu essen.
»Ich baue dir ein warmes Nest in meinem Bauch.«
Ich nahm dieses Versprechen ernst. Wann immer sich der Hunger in meinen Bauch einschlich – dieses süße Gefühl der Schwäche, der Schwerelosigkeit, des ich bin noch nicht so weit – wann immer ich vergaß, zu essen, und dabei den Notausgang in Richtung Himmel einen Spalt breit zu öffnen begann, dachte ich an das warme Nest, das ich für Fini bauen wollte. Der Gedanke an Fini motivierte mich sehr.
Wenn du wiederkommen willst, dann esse ich. Ich richte das Haus schön her für dich. Ich werde wieder Geld verdienen, damit wir es gut haben. Ich mache mein Leben bereit. Für dich.
Theoretisch war alles
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