Vier minus drei
fünf Minuten habe ich den teuersten Bohrer in meinem Einkaufswagen, den das Geschäft zu bieten hat. Dazu zwei Packungen mit Bohraufsätzen, für Holz und Stein, ebenfalls von bester Qualität. Meine Wangen sind rot. Ich bin erleichtert. Am liebsten möchte ich dem Herrn in Orange um den Hals fallen, weil er sich gar so nett um mich kümmert.
»Wissen Sie, ich habe seit Kurzem ein Haus auf dem Land. Ich bin noch ein wenig überfordert.«
Nach weiteren fünf Minuten habe ich dem Verkäufer erzählt, dass ich kein Holz hacken kann. Dass ich nicht weiß, wie man einen Ofen anzündet. Dass mein Rasenmäher Faxen macht, mein Keller schimmlig ist und die Mäuse meine Vorratskammer plündern. Der Experte hört mir geduldig zu.
Klar, das kenne ich, diese Probleme sind doch ganz normal, lese ich in seinem mitfühlenden Blick. Ich würde ihm am liebsten seinen ganzen Lagerbestand abkaufen, so dankbar bin ich für sein Verständnis.
An der Kasse bezahle ich mein Werkzeug. Dazu noch Anti-Schimmel-Spray. Drei Flaschen Unkrautvertilgungsmittel
( Reste nicht ins Abwasser schütten – giftig! ). Eine Sprühflasche und eine Mundschutzmaske. Mäuse-Ex. Mottenfallen. Grillanzünder. Eine Motorsense, dazu Schutzhelm und Brille. Die große, elektrische Werkbank, auf der man Holzscheite zerkleinern kann, die hole ich dann das nächste Mal. Sie passt leider nicht in meine grüne Schnecke.
Die ersten Julitage vergingen wie im Flug.
Meine Mutter kam und putzte mein Haus, bis es glänzte. Annas Mann mähte meinen Rasen. Eine Nachbarin schenkte mir eine Autoladung feingehacktes Holz.
Raimund, ein befreundeter Installateur, kam, um den verstopften Abfluss zu reinigen. Für gewöhnlich ein einfaches Unterfangen. Nicht so in meinem Knusperhäuschen, das sich nicht gerade von seiner besten Seite zeigte, seit es keinen Hausherren – keinen Heli – mehr gab. Plötzlich wurde jede Reparatur zum Abenteuer.
In den Keller. Abflussrohre begutachten, Gefälle überprüfen. Mist, die Rohre laufen ja bergauf statt bergab! Eine Gewindezange muss her, ah, da, in Helis Werkzeugkasten. Eine Hand hält die Nase zu, die andere schraubt am Rohr. Ein Eimer, schnell …
Oh Gott! Wie alt ist diese braune Brühe bloß, die hier auf meinen Kellerboden spritzt?!
Raimund zeigte Gott sei Dank Humor. Und hatte immer noch ein Lachen übrig, sogar, als es mir schon längst vergangen war.
Ich nahm die Hilfe meiner Freunde dankbar an, denn ich hatte sie bitter nötig. Was selbstverständlich klingen mag,
wurde für mich zu einer ausgesprochen schwierigen Lektion: Ich musste lernen, um Hilfe zu bitten, immer wieder.
»Brauchst du etwas, kann ich dir helfen?«
In der ersten Zeit hatte ich diese Frage fast immer verneint und auch nun wollte mir nur selten einfallen, was ich gerade brauchte. Abends saß ich oft genug mit Tränen in den Augen am Küchentisch, um wieder einmal vor einem alltäglichen, kleinen und doch scheinbar unüberwindlichen Problem zu kapitulieren. Es kam mir unendlich blöd vor, dann zum Telefon zu greifen und in den Hörer zu murmeln:
Äh, doch, jetzt weiß ich, was ich brauche. Weißt du zufällig, wie man bei einem Fernseher die Sender einstellt? Einen Rasenmäher von Aldi zusammenschraubt? Ein Regal montiert?
Ich fühlte mich behindert, amputiert.
Ich bin zu klein. Zu schwach. Ich sitze in einem unsichtbaren Rollstuhl. Jede kleine Schwelle ist ein Problem. Allein, um von einem Zimmer ins nächste zu kommen, muss ich schon um Hilfe rufen. Ich scheitere an den banalsten Kleinigkeiten. Meine Autonomie hat sich in Luft aufgelöst.
Seit je schon trug ich den Reflex in mir, mich für Hilfestellungen, und seien sie noch so klein, zu revanchieren. Genau das war nun plötzlich nicht mehr möglich. Die Rechnung von Geben und Nehmen ging nicht mehr auf. Ich brauchte Hilfe, sehr viel Hilfe, und ich hatte nichts zu geben.
Geld? Wie gerne hätte ich mich von all meinen Minderwertigkeitsgefühlen freigekauft.
Wir sind quitt .
Ich sehnte mich nach diesem Satz. Doch es war unmöglich, zu peinlich, meinen Freunden Geld zu geben für das Anschrauben eines Kleiderhakens. Für ein Loch in der Wand. Für einen gemähten Rasen. Sie wollten es ja auch gar nicht annehmen.
»Aber Barbara, du gibst uns so viel, durch deine Mail, durch deine Art, dein Schicksal zu tragen. Du bist ganz toll, und wir tun es gern.«
Irgendetwas in mir hatte sogar damit Probleme.
Ich habe also die Hilfe verdient, weil ich toll bin? Weil ich selbst etwas gebe? Was, wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher