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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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eines Tages zusammenbreche und nicht einmal mehr schöne Worte zustande bringe, nichts mehr zu geben vermag? Was dann?
    Und selbst diese düsteren Gedanken hatten noch eine Steigerungsform, die mich quälte:
    Jeder sieht, wie bedürftig ich bin. Man hilft aus Mitgefühl. Aber was, wenn es mir irgendwann wieder GUT geht? Wenn ich wieder bei Kräften bin? Dann kann ich immer noch kein Regal schleppen. Dann weiß ich immer noch nicht, wie man Holz hackt. Wie lange werden mir die Menschen helfen, bevor ich ihnen auf die Nerven gehe?
    Mein Mund formte indes ein ums andere Mal das Wort »Danke«. Es schien mir viel zu wenig, viel zu banal, aber mehr hatte ich nicht zu bieten.
    Mein »Danke« galt oft auch Heli, meinem unsichtbaren, lieben, großartigen Mann. Ich erkannte erst jetzt, wie groß die Stütze gewesen war, die er mir täglich, selbstverständlich und ungefragt gegeben hatte. Mir wurde klar, wie viel er geleistet hatte.

    Nun konnte er kein Feuer mehr entzünden, keine Autofahrt für mich erledigen. Nichtsdestotrotz vertraute ich auf seine Hilfe. Mehr als jemals zuvor.

Wendepunkt
    6. Juli 2008
     
    Ich sitze am Computer und versuche, meine Steuererklärung fertigzustellen.
    Dafür brauche ich keine Bohrmaschine. Keinen Rasenmäher. Keine Muskeln. Wenigstens irgendetwas, das ich noch selbst machen kann.
    Ich bin ungeduldig. Die vielen Zahlen überfordern mich. Zeit für eine Pause. Ich schließe das Formular und klicke auf einen Ordner aus der Rubrik Privat.
    »Fotos Familie« – ich zögere nicht, den ersten Unterordner zu öffnen.
    Es fällt mir doch nicht schwer, Bilder meiner Kinder anzuschauen. Die Collagen hängen seit Wochen an der Wand.
    Ich betrachte Bild um Bild, im Großformat. Streichle den Bildschirm. Lächle sogar.
    Was ist das? Ein Video?
    Thimo hüpft vor meinen Augen auf und ab. Fröhlich, lachend. Entzückend wie eh und je. Ich kann meinen Blick nicht mehr abwenden. Zu spät bemerke ich, dass mir das, was sich vor meinen Augen abspielt, gar nicht guttut.

    Thimo! Da bist du ja!
    Meine Augen saugen sich am Bildschirm fest.
    Wie komme ich zu dir? Thimo, du bist so nah und doch so unendlich weit weg! Wie soll ich bloß die unsichtbare Wand durchbrechen, die uns trennt?
    Am liebsten würde ich den Bildschirm aufschlitzen. Könnte ich Thimo bloß aus seinem Computergefängnis befreien!
    Tränen schießen mir in die Augen. Das Video ist zu Ende. Wie ferngesteuert starte ich es noch einmal.
    Play .
    Es tut weh, sehr weh. Ich erleide Phantomschmerzen. Man hat mir ein Kind amputiert. Noch eines. Und einen Mann obendrein. Ich beiße in meine Fingergelenke. Fester, immer fester.
    Der echte Schmerz lenkt mich ein wenig ab von der inneren Pein, die ich kaum noch ertrage. Wenn ich meine Zähne in meine Fingerknöchel bohre, kann ich selbst steuern, wie weh es tut. Ich kann mir einbilden, so etwas wie Kontrolle zu haben. Mein Biss legt eine Leitung von innen nach außen. Die Schmerzen werden abgeleitet in die Peripherie, die unerträgliche Qual wird verwandelt in etwas Bekanntes.
    Vor ein paar Tagen habe ich einen Film angesehen: »Drei Farben: Blau«. Er handelt von einer Frau, die Mann und Tochter bei einem Autounfall verloren hat. In einer Szene schabt die Frau in ihrer Verzweiflung ihre Fingerknöchel an einer rau verputzten Wand, so lange, bis sie bluten.
    Na, das ist wohl doch etwas übertrieben , habe ich gedacht und kritisch den Kopf geschüttelt.

    Siehst du, jetzt bist du selbst mittendrin, bemerkt nun die Stimme in meinem Kopf.
    Ja, plötzlich begreife ich, was ich schon oft im Fernsehen sah. Mütter reißen sich die Haare aus. Witwen zerkratzen sich das Gesicht. O, süßer Schmerz.
    Mit dem letzten Fünkchen Verstand, das mir bleibt, schalte ich den Computer aus. Atme tief durch. Ich muss mich ablenken. Mein Blick fällt auf die Vorhangstangen, die in der Ecke lehnen und immer noch auf die Montage warten.
    Komm, Barbara, wir wollen es uns schön machen .
    Ich hole meine Leiter. Sie ist zu kurz, meine Fenster sind zu hoch, ich bin zu klein, wie auch immer. Eigentlich bräuchte ich schon wieder Hilfe.
    Oh Gott! Das darf doch nicht wahr sein, einmal muss ich doch irgendetwas ganz allein schaffen! Ich will meine Vorhänge jetzt! Sofort!
    Ich klappe die Leiter aus und stelle sie auf das Sofa, das unter dem Fenster steht. Mit dem Akkubohrer bewaffnet erklimme ich die Sprossen. Die Leiter wackelt. Ich stütze mich an der Wand ab. In wagemutiger Überkopf-Position setze ich den Bohrer an die Wand und lege

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