Vier minus drei
los. Das Wackeln der Leiter wird stärker – oder wackeln da vielleicht auch meine Knie? Die Wand ist hart, der Bohrer will nicht eindringen. Ich biete alle Kraft auf, die ich habe. Die Kraft der Verzweiflung. Drücke, presse. Meine Arme tun weh.
Da, plötzlich, gibt die Mauer nach. Der Bohrer versinkt in der Wand. Der Verputz rieselt in großen Brocken über meinen Kopf, auf das Sofa, hinter das Sofa, in meinen Ausschnitt. Das Loch ist riesig, viel zu groß. Fassungslos
starre ich auf das hässliche Resultat, das mir mein Heldenmut eingebracht hat. Mit zitternden Beinen klettere ich von der Leiter. Ich setze mich inmitten des Staubes auf die Erde und mache mich so klein wie möglich. Es schüttelt mich vor Enttäuschung, vor Verzweiflung, vor Schmerz. Ein Schrei entringt sich meiner Kehle, heiser, meine Stimme klingt wie die eines verletzten Tieres.
»THIIIIMOOOO!«
Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Was soll ich machen? Was soll ich nur machen?
Vor meinen Augen tanzen Bilder.
Ein Messer. Aufgeschnittene Pulsadern. Blut.
Der Weg in die Küche scheint mir jedoch unendlich weit. Zu weit. Ich bleibe sitzen. Hole mir kein Messer. Kein Blut quillt aus mir heraus, nur meine Stimme, in endlosem Fluss, bis auch sie versiegt. Zurück bleiben nur meine Gedanken.
Ich will sterben. Das Leben ist nichts mehr für mich. Ich kann nicht mehr. Ich kann nichts mehr leisten, will nichts mehr schaffen! Kann ich mich nicht einfach in Luft auflösen? Hier, jetzt?
Ich habe nicht den Mut, mich umzubringen. Lieber halte ich weiter still, lasse die Tränen fließen. Langsam lässt der Schmerz nach, die Trauer klopft an die Tür und tritt herein. Sie flüstert mir etwas ins Ohr. Eine leise Botschaft, die Balsam ist für meine Seele und Licht in meine Gedanken bringt:
Wer sagt, dass du etwas leisten musst? Und wie viel? Sieh es doch einmal so: Wenn du dich jetzt umbringst, dann kannst du nichts, gar nichts mehr tun hier auf Erden.
Wenn du aber bleibst, und wenn du auch die nächsten siebzig Jahre nur in deinem Garten sitzt und deine Gänseblümchen zählst, irgendwann, vielleicht nur EINMAL, wirst du einem Menschen ein Lächeln schenken oder ein freundliches Wort. Dieses EINE Wort ist genug. Es ist mehr als alles, was du geben kannst, wenn du jetzt von der Erde fliehst.
Ein Gänseblümchensamen war in meinem Kopf gesät. Er erinnerte mich sacht daran, dass es die kleinen Dinge sind, die den Sinn des Lebens ausmachen. Ein Lächeln, ein liebes Wort, eine kleine gute Tat genügt. Und, ja, es funktionierte. Ich lächelte. Dankte. Lobte, wann immer ich nach draußen ging. Mehr war nicht nötig, für den Moment, vielleicht für immer.
Um die großen Veränderungen brauchte ich mich ja nicht zu kümmern. Die hatte ich schließlich vor geraumer Zeit an das Schicksal delegiert. Und irgendwo im Universum ahnte man wohl, dass es langsam an der Zeit war, zu handeln.
Das Leben
Es wird ned wehtun, wird ned wehtun,
sicher ned so, wie du glaubst.
Es wird ned wehtun, wie du’s willst, und glaub
ned, dass
’s di an der einen Stell’ grad treffen wird,
wo du es gern erlaubst,
weil du dir dort an großen Schutz scho aufbaut
hast.
Doch es wird wehtun, in ganz andern Farben,
mit andern Worten, anderm Klang,
und es wird wehtun, immer wieder, des ist gwiss.
Es wird wehtun, es wird wehtun, weil das das
Leben is.
Weil das das dumme, echte, blede,
fade, wunderschene,
immer wieder gleiche und trotzdem täglich nei-
che Leben ist,
in dem du jetzt,
in dem du jetzt grad zu Hause bist.
Es wird ned schön sein, wird ned schön sein,
sicher ned so wie’s früher war,
es wird ned schön sein, wie du’s tramt hast schon
als Kind.
Es wird ned schön sein, weil du’s willst, weil du’s
verdient hast und sogar
wirds ned immer schön sein, weil die andern
glücklich sind.
Doch es wird schön sein auf ganz andre Art,
mit andern Karten, anderm Spiel,
und es wird schön sein, immer wieder, des ist
gwiss.
Es wird schön sein, es wird schön sein, weil das
das Leben is.
Weil das das weise, derbe, zarte, ganz in dich
vernarrte,
immer wieder gleiche und trotzdem täglich neue
Leben ist,
in dem du jetzt,
in dem du jetzt grad zu Hause bist.
Eins und eins
Das Schicksal musste sich gar nicht besonders anstrengen, um seinen Teil der Vereinbarung zu erfüllen.
Das Prinzip Ulrich war reif. Bereit, physisch in mein Leben zu treten.
Nicht nur das, Ulrich selbst, der Ulrich kam eines sonnigen Julitags
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