Vier minus drei
erblickt.
Seht ihr beide durch mich hindurch auf die jeweils andere Seite?
Könntet ihr euch hören, was würdet ihr einander erzählen?
Würdet ihr über mich sprechen? Über den Himmel? Die Erde? Würdet ihr einander meine Liebe beschreiben können? Würde es euch verletzen, wenn meine Liebe zu jedem von euch unterschiedlich wäre? Und was, wenn sie gleich wäre? Was, wenn sie so groß wäre, dass sie euch beide umfängt? Kann ich dabei euch beiden ins Gesicht schauen?
Könnt ihr EINANDER lieben lernen und mich mit eurer Liebe umfangen? Fangt mich auf!
Spontan malt sie ein Dreieck in ihr Tagebuch. Ulrich – Heli – Barbara heißen die Eckpunkte. Die Linien stehen für die Liebe. Sie schreibt einen letzten Satz.
Wenn Ulrich Heli lieben kann und Heli Ulrich, dann könnte es klappen.
Drei. Ein Hotelzimmer in der Toskana. Wenige Wochen später.
Die beiden Liebenden sitzen vor einem Computer. Er hat ein Programm geöffnet. »Human Design«. Auf dem Bildschirm sieht man eine stilisierte Menschensilhouette. Ein Chart, eine Auswertung der Daten von:
Helmut Eberhart. Geboren am 24.6.1969, 20:15 .
Sie schaut gebannt auf den Bildschirm. Er erklärt ihr, was er sieht. Er kennt sich aus mit diesem Programm, das die angelegten Wesenszüge eines Menschen auflistet, nachdem man den Computer mit dessen Geburtsdatum gefüttert hat.
Was liest er nur in all diesen Zahlen und Zeichen?
Er erzählt ihr so manches über den Mann, den er nie kennengelernt hat.
Helmut Eberhart. Geboren am 24.6.1969 , 20:15.
Sie weint. Nickt.
»Ja, so ist er gewesen, genau!«
Er gibt Impulse, sie erzählt Geschichten. Er hört zu, fragt nach, hört weiter zu. Sie erzählt mehr und mehr. Nun weint auch er.
»Ich hätte Heli so gern kennengelernt – ich fühle mich ihm so nah und so vertraut!«
Vier. Ihr Garten.
Er steht in kurzen Hosen lachend im hohen Gras und mäht ihren Rasen. Sie schaut durchs Fenster auf die Szene, winkt und lacht.
Wow, er kann sogar das!
Fünf. Ein Streit.
Sie hat nicht damit gerechnet, dass das Thema, das im Raum steht, ihn so verletzen würde. Er hat nicht damit gerechnet, dass sie ihn mit diesem Thema konfrontieren würde. Beide schreien. Beide weinen.
»Ich weiß nicht, ob ich mit dir zusammen sein will.«
Er ist wütend. Verzweifelt. Überfordert.
Sie meint, sie hört nicht recht.
Das kann er MIR doch nicht antun!
Er geht spazieren.
Sie bleibt erstarrt sitzen. Unter den Tränen ihrer Enttäuschung dämmert ihr eine Einsicht: In Beziehung sein heißt, sich einem anderen Menschen zu stellen, mit all seinen Schwächen und Ängsten.
Leben mit aller Konsequenz, das wolltest du doch . Wer leben, wer lieben will, sollte nicht allzu viel Schonung erwarten. Dein Partner hat es verdient, dass du ihn in seiner Ganzheit annimmst. Auch wenn dir manches wehtut.
Noch etwas begreift sie:
Wieder zu lieben heißt auch, wieder Angst zu haben. Die Angst, verlassen zu werden.
Sie liebt. Sie hat Angst. Liebe ist ein Geschenk, aber genauso eine Aufgabe.
Das Trauerjahr, dem sie sich so mutig widersetzt hat, scheint ihr plötzlich mehr zu sein als hohle Tradition.
»Ich habe es ein ganzes Jahr lang allein geschafft«, wie gern würde sie das von sich behaupten können.
Er kommt zurück. Er bleibt. Sie fühlt sich endlich bereit, wirklich in Beziehung zu treten. Zu einem einzigartigen Menschen und allem, was zu ihm gehört.
Sechs. Eine Wärmeflasche.
Sie liegt im Bett und weint. Sie vermisst ihre Kinder. Es tut so weh. Sie zittert. Er hält sie fest umarmt. Sie hat so viele Fragen, über das Leben nach dem Tod, über Gott, über den Himmel. Er hat so viel gelesen und gedacht in
den Jahren vor ihrem Zusammentreffen. Er hilft ihr beim Nachdenken und liest ihr aus seinen Lieblingsbüchern vor. Dann bringt er ihr eine Wärmeflasche und wünscht ihr mit sanftem Kuss eine gute Nacht.
Sieben. Ein Traum.
Sie ist gerade aufgewacht, reibt sich die Augen und erzählt:
»Heute Nacht hatte ich einen wunderschönen Traum. Er spielte in einem Feenwald, irgendwann in einer anderen Zeit. Ich war so etwas wie eine Fee oder eine Priesterin. Im Wald musste ich eine Prüfung ablegen. Ich hatte immer wieder durch den Wald zu gehen, in Form eines Rituals, einem kreisförmigen Weg folgend.
Ich kam immer wieder an denselben Stellen vorbei. Irgendwo im Unterholz lag eine hell leuchtende Tafel, auf der ein Bild gezeichnet war von einem Mann und einer Frau.
Das Ritual bestand darin, so lange immer wiederzukommen, bis
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