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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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gegessen habe.«
    »Vielleicht hat er ja die Lust verloren.«
    Will ich das?

    Ich fühle mich fast ein wenig enttäuscht. Als hätte ich etwas Wichtiges verpasst.
    Als wäre ich krank geworden am Tag meiner eigenen Geburtstagsfeier.
    »Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, mir den Telefonhörer zu geben? Hattest du keinen Respekt vor meinem Zustand?«
    Ulrich zögert. Streichelt meine Hand. Sein Blick wird ernst.
    »Doch. Großen Respekt. Ich habe geahnt, dass es sehr ernst war. Gerade deshalb habe ich dich zum Telefonieren gezwungen. Weißt du, das habe ich einmal im Bergführerkurs gelernt. Wenn jemand kurz vor dem Zusammenbruch steht, muss man ihm viele kleine Aufgaben stellen, und man darf ja nicht damit aufhören.«
    Du hast einen Schock und brauchst Wärme.
    Du hast einen Nervenzusammenbruch und brauchst Aufgaben.
    So einfach?
     
    Noch heute denke ich manchmal etwas wehmütig an jenen Tag im Dezember zurück.
    Was wäre gewesen, wenn ich mich aufgegeben hätte? Wäre mein Leben einfacher geworden, für eine Zeit, zumindest für ein paar Wochen?
    Es gibt Tage, an denen ich mich in Selbstmitleid suhle und mich frage, warum ich damals nicht den Notausgang wählte, der sich mir darbot.
    Mann und Kinder verloren. Monatelang funktioniert. Körperlich erschöpft und ausgelaugt. Dann auch noch ein Autoeinbruch.

    Ich glaube, jeder hätte mich verstanden.
    Natürlich, das musste ja irgendwann kommen.
    Man wäre um mich besorgt gewesen. Ich hätte eine Schonfrist erhalten, einen Boxenstopp auf dem Weg zurück ins Leben. Motorpflege, Reifenwechsel, frisches Benzin für die, die aus der Kurve geflogen ist.
    Ich betrachte es heute als großes Glück, dass ich im entscheidenden Moment einen Menschen an meiner Seite hatte, der an ein letztes Fünkchen Kraft in mir glaubte.
    Natürlich, ich hätte mich aufgeben können. Auch heute noch habe ich diese Option.
    »Ich kann nicht mehr«, das darf ich jederzeit vor mir selbst zugeben.
    Ich könnte mich sogar in eine Klinik einweisen lassen und mich selbst aus dem Verkehr ziehen.
    Aber ich muss nichts davon tun. Es ist meine Entscheidung. Will ich die Verantwortung für mich und mein Leben abgeben, und sei es nur für ein paar Wochen? Oder will ich sie behalten? Will ich handlungsfähig bleiben oder mich in die Hände von Menschen begeben, die an meiner statt entscheiden?
    Letzten Endes habe ich begriffen, dass ich die Verantwortung für mein Leben gar nicht abgeben kann . Ich, und nur ich, habe die Konsequenzen für meine Entscheidungen zu tragen.
    Ich kann keine Steuererklärung schreiben?
    Die Strafe werde ich zu bezahlen haben.
    Ich kann mein Haus nicht räumen?
    Dann wird mein Besitz eben auf dem Schrottplatz landen.

    Ich will einen Vormund?
    Ich werde ihn bezahlen müssen. Werde viele Untersuchungen über mich ergehen lassen müssen. Wer weiß, ob ich meinen Beruf weiter ausüben kann, wenn ich einmal als unzurechnungsfähig gegolten habe?
    Trotz aller Einsicht scheint es mir immer wieder attraktiv, in die Rolle des Opfers zu schlüpfen.
    Sollen doch die anderen sich um mich kümmern. Ich habe bei Gott Schreckliches erlebt, da kann man doch nicht von mir erwarten, dass ich funktioniere.
    Gedanken dieser Art sind mir nicht fremd. Wenn ich mich dabei ertappe, wie mein Gehirn mich ins Fahrwasser des Opfertums lenkt, versuche ich ihm jedoch achtsam, aber entschieden Einhalt zu gebieten. Meine innere Stimme, mein geistiger Coach, der stets mit der höchsten Weisheit in Verbindung steht, die mein Kopf zu bieten hat, unterstützt mich dabei nach Leibeskräften:
    Willst du dich wirklich auf das Gefühl der Hilflosigkeit einlassen? Willst du so tun, als wärest du ausgeliefert? Ruh dich aus und überstürze nichts. Warte einfach, bis die Kraft zurückkommt.
    Und was, wenn ich eines Tages wirklich nicht mehr kann? Burnout, Depression, Krankheit, das kann doch passieren.
    Natürlich. Vor allem dann, wenn du nicht genug auf dich aufpasst und über deine Grenzen gehst. In diesem Fall wirst du dein Leben eben eine zeitlang auf Pause stellen. Wirst dich pflegen lassen. Du wirst genesen. Irgendwann jedoch wirst du erneut vor der gleichen Frage stehen: Willst du dein Schicksal wieder selbst in die Hand
nehmen? Das Leben wird nicht aufhören, dir diese Frage zu stellen. So lange, bis dein Ja klar und deutlich zu hören ist. Heute, morgen oder in einem Jahr. Die Frage bleibt dieselbe, so lange du lebst.
     
    Ich bemühte mich also, die Signale meines müden Körpers ernst zu nehmen.

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