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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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Die Übersiedelung delegierte ich an eine Speditionsfirma.
    Koste es, was es wolle. Gerade dafür habe ich doch all die Spenden bekommen. Nur ja nicht am falschen Ende knausern.
    Meine Eltern – diese beiden wunderbaren, verlässlichen, unermüdlich um das Wohl ihrer Tochter besorgten Engel auf Erden – räumten bereitwillig den Dachboden ihres Landhauses leer, um den vielen Erinnerungsstücken Quartier zu geben, von denen ich mich noch nicht endgültig trennen konnte.
    Mein voller Terminkalender machte mir noch ein wenig Sorgen. Ich hatte so vieles zu tun. Hatte Freundinnen versprochen, sie zu sehen. Wollte arbeiten gehen. Mich weiterbilden. Für ein Seminar hatte ich im Voraus viel Geld bezahlt.
    »Vielleicht schaffe ich es ja, jetzt, wo der Umzug unter Dach und Fach ist?«
    Ich triefte vor Verantwortungsgefühl. Ich wünschte mir so sehr, dass man sich wieder auf mich verlassen konnte. Am allermeisten wollte ich vor mir selbst zuverlässig sein. Der Ausnahmezustand, konnte er nicht endlich aufhören?
    »Nein. Du brauchst Ruhe. Das sieht doch ein Blinder.«

    Ulrichs Stimme klang streng. Besorgt. Wieder einmal drückte er mir einen Telefonhörer in die Hand. Mein Kalender leerte sich mit jedem Anruf, den ich tätigte. Nach fünfzehn Telefonaten hatte ich so viel freie Zeit vor mir wie nie zuvor in meinem Leben.
    »Zwei Monate Nichtstun! Darf ich das, selbst wenn ich gar nicht krank bin?«
    »Ja. Du darfst. Du sollst. Du musst. Sonst wirst du noch krank, und das könnte mehr als zwei Monate dauern.«
    Ich schlief, ging spazieren, kochte und las. Wochenlang. Ich erlaubte mir, nicht daran zu denken, was später kommen sollte. Mein Körper begann sich zu erholen. Meine Wangen wurden wieder rosig, mein Schlafbedürfnis reduzierte sich auf ein vertretbares Maß. Ich nahm zu.
    Alles bestens? Nun ja. Noch nicht ganz.
    Meine Seele war im Frieden. Mein Körper kam zu Kräften. Nun überraschte mich mein Kopf damit, dass auch er zu streiken begann. Das war schlimm. Ich hatte doch immer daran geglaubt, dass man alles schaffen kann, wenn man nur positiv denkt. Sich Neues zutraut. Sich auf die Kraft der Gedanken verlässt.
    Was nun, da mich die letzte Ressource im Stich ließ, auf die ich vertraut hatte – meine Intelligenz?
     
     
    Eine Mail
     
    Von: Barbara Pachl-Eberhart
    Gesendet: Montag, 2. Februar 2009
    Betreff: Wie es mir geht

    Jetzt.
    Meine Gedanken sind langsam und träge. Es denkt sich wie durch Watte, ich denke am Denken vorbei, denke rechts und links an mir selbst vorüber. Nein, das ist keine poetische Metapher, sondern ein ganz reales körperliches Gefühl.
    Es gibt solche Tage – heute ist einer davon -, da wache ich auf und spüre sofort, dass meine Gedanken an meinem Hirn vorbeiziehen, wie wenn sie von einem starken Magneten nach hinten abgezogen würden von ihrer eigentlichen Bahn. Ich versuche, klare Gedanken zu fassen oder wenigstens sinnvolle Worte zu finden, bemühe mich, irgendwo im fehlgeleiteten, abgelenkten Strom meines Denkens Halt zu finden, irgendeinen Funken Intelligenz zu spüren, der mir bekannt und als zu mir gehörig erscheint.
    Intelligenz. Scharfsinn. Witz.
    Eigenschaften, die ich früher selbstverständlich mit mir in Verbindung gebracht habe und auf die immer Verlass war. Sie haben das Feld geräumt für einen Haufen Brei in meinem Kopf. Irgendwo müssen sie doch noch sein, und, komisch, ich glaube, ich kann sie sogar lokalisieren. Ich habe das Gefühl, dass all die Fähigkeiten, die ich vermisse, genau hinter meiner Stirn sitzen, auf einen winzigen Punkt zusammengepresst, im Asyl, in einem Winkel, zu dem der Brei keinen Zutritt hat. Dort ist es wach und hell. Ich kann meine lieben, vertrauten Eigenschaften förmlich aus meiner Stirn leuchten sehen, sie geben mir Signale mit der Taschenlampe: Wir sind hier! Keine Angst! Wir verlassen dich nicht!
    Nur: Der Zugang zu diesem ersehnten Ort in meinem Kopf ist mir an Tagen wie heute verwehrt. Je stärker ich mich bemühe, das Schatzkästchen meiner vertrauten geistigen
Ressourcen zu bergen, umso klebriger und beharrlicher verhält sich der Brei, der alles verstopft, umso langsamer komme ich voran, umso stärker zerrt mir der Magnet jeden im Ansatz vernünftigen Gedanken aus dem Kopf.
    Wenn ich an einem solchen Tag Menschen treffe, versuche ich, den Schein zu wahren, indem ich interessiert zuhöre – in der Hoffnung, ein Funken Verstand könnte vom anderen auf mich überspringen. Dabei mache ich meine Augen weit auf. Auf das Strahlen meiner

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