Vier minus drei
tiefsinniger Gespräche und netter Blödeleien, wenn dieser Freund dann anderen lieben Freunden erzählt, wie schön es mit mir war und dass es mir gerade richtig gut geht – wie leicht kann es passieren, dass dann jemand denkt:
»Wieso meldet sie sich dann bei mir nicht?«
»Mag sie mich nicht mehr?«
»BRAUCHT sie mich nicht mehr?«
Ich brauche euch alle! Ganz dringend, mehr denn je, aber in ganz anderer Form, als ich es je gekannt habe. Und dass ich euch alle unendlich gern MAG, daran erinnere ich mich sogar, wenn der Brei mir schon zu den Ohren herausquillt!
Wie stark müssen Freunde sein, um die Indizien noch für mich auszulegen und geduldig auf den Tag zu warten, an dem ich mich bei ihnen melden werde, und sei es mit einer Bitte, aus dem Nichts heraus, nach langer Zeit der Absenz? Wie lange schaffen es Freunde, ihre lieben Worte an eine Frau zu richten, die nicht antwortet, obwohl sie sich nach ebendiesen Worten wie nach Nahrung, wie nach Wasser sehnt? Vielleicht ist es nicht allen von euch möglich, und ich würde es verstehen. Allzu ungewohnt ist das, was geschehen ist und geschieht, für uns alle. Ich habe keine Vorbilder, die mir zeigen, wie man sich in so einer Situation »richtig« verhält.
Ich will nur, dass ihr wisst: Ich liebe euch, auch wenn diese Liebe momentan kaum etwas geben kann. Vergesst mich bitte nicht!
Eure Barbara
Neues ziel: vorwärts
Ich wollte wissen, was mit mir los war. Ob das, was ich erlebte, immer noch Teil eines ganz normalen Prozesses war oder ob ich irgendwo eine wichtige Abzweigung verpasst hatte.
Ich hatte Angst. Vielleicht würde ich doch noch verrückt werden? Dumm? Ein Zombie mit leerem Kopf?
»Ach was! Du hast nicht zu wenig in deinem Kopf. Sondern zu viel! Entspann dich einfach.«
Das riet mir eine Freundin bei einer Tasse Kaffee an einem jener Tage, an denen ich mich zu einer vernünftigen Unterhaltung fähig fühlte und doch über nichts anderes sprach als über meine Angst, langsam, aber sicher zu verblöden. Ich war baff.
Und begeistert. Auf diese Idee war ich noch überhaupt nicht gekommen!
Zu viel im Kopf.
Einfach entspannen.
Schon wieder ein simples, wirkungsvolles Rezept? War das Leben denn wirklich so unkompliziert? Ich wollte es so gern glauben.
Dennoch, ich hatte viel gelesen: über Retraumatisierung. Posttraumatische Belastungsstörungen. Depressionen. Mein eigener Zustand flößte mir Respekt ein.
Unterschätze mich nicht, das kann böse enden , meinte ich es in meinem Kopf flüstern zu hören.
Sicherheitshalber suchte ich einen Psychiater auf. Er würde mir sagen können, wie es wirklich um mich stand.
Der Arzt stellte mir viele Fragen. Ich versuchte, ehrlich zu antworten. Nicht zu beschönigen, nicht zu übertreiben. Ich vertraute mich dem Urteil des Experten an, egal, wie es lauten würde.
»Schlafbedürfnis?«
Groß.
»Antriebslosigkeit?«
Groß.
»Lebensfreude?«
Noch ausreichend vorhanden, theoretisch.
»Partnerschaft?«
Ja, Gott sei Dank.
»Sexualität?«
Gut.
»Periode?«
Nicht vorhanden.
»Die Arbeit als Clown?«
Unendlich wichtig. Lebensbasis. Kontinuum.
Lachen?
Möglich. Wohltuend. Wichtig.
»Selbstmordgedanken?«
Kaum. Manchmal. Vor allem auf der Autobahn.
Und im Morgengrauen. Fantasien von aufgeschnittenen Pulsadern.
»Ich gebe Ihnen einen Rat: Pulsadern aufschneiden, das funktioniert nicht. Wirklich. So viele haben es schon versucht und sind gescheitert. Zurück bleiben nur hässliche Narben.«
Nicht einmal, wenn man sich dabei in die Badewanne legt?
»Nein, nicht einmal dann.«
Werde ich bald wieder ganz normal sein?
»Die Zeit wird für Sie arbeiten. In ein paar Monaten sollte es Ihnen besser gehen. Retraumatisierung kann ich nicht sicher ausschließen, aber Ihre Verfassung ist, soweit ich es hier und heute beurteilen kann, im grünen Bereich.«
Der Befund, den ich wenige Tage später erhielt, nannte mir den Fachbegriff für meinen Zustand.
Depressio sine Depressione.
Depression ohne Tränen, sozusagen.
Die Bezeichnung schien mir passend. Sie gefiel mir gut, schon allein deshalb, weil sie so wichtig klang. Ich hatte nun also eine Diagnose. Ich hatte etwas . Etwas, das sogar einen lateinischen Namen verdiente. Ich durfte mir noch ein wenig Zeit lassen mit meiner Rückkehr ins Leben. Ich musste mich schonen, musste noch nicht funktionieren. Am liebsten hätte ich mir ein großes Schild um den Hals gehängt, um jedem mitzuteilen, dass ich in einem Ausnahmezustand war. Dass ich
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