Vier minus drei
Augen kann ich mich immer noch verlassen, und ein wenig vom Taschenlampenlicht meines echten Hirns blitzt durch sie ins Freie. Und wenn ich versuche, nicht zu viel zu sagen, fällt den meisten Leuten gar nicht auf, wie nichtssagend ich heute bin.
Wenn ich allein bin, kapituliere ich vor dem großen Brei, hisse die weiße Flagge und versuche zu verstehen, was er mir mitteilen will. »SCHLAFENSCHLAFENSCHLAFEN-SCHLAFEN«, höre ich da sabbernd und träge aus seinem Mund.
Ja, wenn das so einfach wäre! Zu schlafen, am helllichten Tag, mit einer Gruppe von Asylanten hinter der Stirn, die mit Taschenlampen Morsezeichen an mich funken!
Der Kompromiss: Ruhe geben. Mich abfinden damit, dass ich heute nichts, aber auch gar nichts zu leisten vermag. Dass die Barbara, die ich kenne, heute gar nicht mitspielen wird im geliebten Spiel, das »Leben« heißt. Zumindest nicht unter den Regeln, die sie kennt und so gern mag. Dass sie die ihr verhasste Karte »Einmal aussetzen« gezogen hat, während die anderen ihren Spaß haben. Mehr noch, dass sie für unbestimmte Zeit die Rolle tauschen musste mit einem menschlichen Wesen, das ihr zwar ungemein ähnlich sieht,
mit dem sie aber unter keinen Umständen verwechselt werden will!
Wer bin ich, wenn ich nicht mehr »gescheit« bin? Wenn alles, worüber ich mich stets definiert habe, sich meinem Zugriff entzieht? Was habe ich für eine Berechtigung, auf dieser Welt zu sein, wenn ich mich nicht durch Leistung, meinen Beitrag auf der Gedanken-Austausch-Börse mit Freunden oder wenigstens durch grammatikalisch richtige Sätze an der Supermarktkasse legitimiere?
Die Taschenlampe hinter meiner Stirn blinkt heftig und weist mich darauf hin, dass dies sehr grundsätzliche Gedanken sind, über die es sich lohnen würde, näher nachzudenken. »Nichts lieber als das!«, rufe ich zurück, aber ich weiß nicht, ob sie mich überhaupt hören kann, in ihrem winzigen Versteck.
»Wie geht es dir?«
Die meistgefürchtete Frage an solchen Tagen. Es wäre unehrlich, zu behaupten, mir geht es schlecht. Unvollständig. Es würde die anderen allein lassen mit ihren Theorien, mit ihren Ideen vom »Warum«. Es würde sie verlocken, mich zu trösten, weil ich meinen Sohn vermisse, meinen Mann, meine Tochter. Mir zu helfen, wenn ich etwas brauche. Alle sind so lieb! Wollen für mich da sein. Mich treffen. Soll heißen: mit mir reden.
MIT MIR REDEN!
Und wissen nicht, dass sie mir an Tagen wie heute genau damit Unmögliches abverlangen. Sie meinen es so gut!
Ich versuche zu erklären, was mit mir los ist. Erzähle, dass ich Angst habe, zu verblöden, dass ich Worte nicht mehr finde, die ich gern sagen würde, dass es lauter Second-Hand-Worte sind, die da aus meinem Mund kommen, zweite Wahl, schadhaft
und billig. Und wieder werde ich getröstet. »Aber geh, mir fällt nichts auf.«
»Ja, das verstehe ich, du hast auch furchtbar viel geleistet in letzter Zeit!«
»Das geht vorbei, wirst sehen, schon ganz bald.«
(Am besten so bald, dass ich in der nächsten Minute schon wieder munter plaudernd Kaffee trinken oder weitertelefonieren kann, und ich tu’s, weil mir die Kraft und die Worte fehlen, zu erklären, warum ich jetzt nach zwei Minuten aufstehe und gehe, oder auflege, wo wir uns doch so lange nicht mehr gesehen oder gehört haben. Den anderen fällt nicht auf, dass nur Matsch aus meinem Mund kommt, oder es fällt ihnen auf, und sie trauen sich nicht, es doch noch anzusprechen, ich weiß nicht, was schlimmer ist.)
Es gibt Erklärungen für diesen Zustand. Nachwirkungen des Schocks. Der Körper holt sich, was er braucht. Hormone. Es geht vorbei, irgendwann, das darf ich hoffen. Die Erklärungen beeindrucken meinen Breikopf nicht sehr, man wird nicht gescheiter, nur weil man eine Erklärung für seine Dumpfheit hat. Man nimmt es nur gelassener, vielleicht.
Wenn ich über einen Monat verteilt an zehn Tagen in diesem Zustand aufwache und mich weitere zehn Tage von diesem Zustand erholen muss und an den verbleibenden Fenstertagen, die mir der magnetische Gedanken-Klau gewährt, meinem Beruf nachgehe oder wichtige Erledigungen mache, hole ich am Ende dieses Monats tief Luft und bin nicht verwundert, wenn auch betrübt, dass ich meine Freunde seit langer, langer Zeit nicht mehr gesehen habe.
Wenn ich an einem der magnetfreien Tage einen meiner Freunde treffe, und, überglücklich darüber, dass ich zur
Abwechslung einmal klar denken kann, einen feinen Nachmittag verbringe, voller Witz und Schmäh, voller
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