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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Blatter
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verändert hatte. Zumindest alles für Tom. Die Annahme der Polizei, es handle sich um ein Verbrechen, hatte ihn aus der Spur gedrängt, vielmehr, so schusterte er es sich rasch zurecht, brutal auf die Spur gebracht. Das konnte kein Zufall sein, es bestand eine Verknüpfung, ein wie auch immer gearteter Zusammenhang der Fälle war mit dem Tod von Brink noch wahrscheinlicher geworden und stärkte Toms Szenario, der Täter könnte einen Rundumschlag planen. Tom nahm sich vor, bei alkoholfreiem Bier zu bleiben, jetzt sollte er unbedingt einen klaren Kopf bewahren. Der doppelte Whisky war gestrichen. Tom hob wieder die Hand und rief dennoch, einen doppelten Whisky Richtung Barmann. Er rekapitulierte: Am Ufer aufgefunden, im Schilf, Elmar Brink ist nichtsahnend über Steine aus dem Wasser geklettert, weder Herzversagen noch Unfall, sondern ein Tötungsdelikt. Das ist die Ausgangslage. Ein Mord. Jeden Tag ist Brink nach dem Schwimmen an dieser Stelle wieder an Land gegangen. Er war ein Sportler geblieben, über fünfzig, aber wie sein Vater auch bewegungssüchtig. Brink durfte leider nicht mehr rudern, kaputter Rücken, darum war er ein Radfahrer und Schwimmer geworden. Das Letztere vor allem. Tom wusste das von seinem Vater. In der Tagesschau war auch Ivo Blume erwähnt worden. Brink und Blume, der ruhmreiche olympische Doppelzweier, der Sieg um Sieg errungen hatte.
    Etwas, das Tom hatte kommen sehen, war tatsächlich eingetroffen. Die böse Vorahnung hatte sich erfüllt. Er fühlte sich bestätigt, war aber zugleich unglücklich darüber. Besorgt rief er nochmals das Handy seines Vaters an. Ivo blieb unerreichbar. Der Whisky, auch wenn Jara ihm das niemals verzeihen würde, war nun eine Notwendigkeit. Er leerte das Glas zügig. Der Weg, den das Getränk in den Magen nahm, brannte. Tom schmeckte das Aroma, den Alkohol. Als müsste er sich seiner selbst versichern, bedeckte er das Gesicht mit den Händen, berührte Nase, Lippen, Augen und Wangen. Wie lose und beweglich Haut und Muskeln doch waren. Wenn sein eigenes Gesicht als Gipsabguss vor ihm läge und er es blind ertasten müsste, würde er es wohl nicht erkennen.
    Noch einen Whisky, bestellte Tom, einen doppelten auf Eis, und wählte wieder die Nummer seines Vaters. Bei diesem Anruf sagte eine Stimme, der Teilnehmer sei nicht erreichbar. Tom drückte die Wiederholungstaste. Aus welchen Gründen auch immer, Ivo hatte das Handy ausgeschaltet. Toms Gedanken waren zu sprunghaft, um auf die Mailbox gesprochen zu werden. Er würde wirr klingen. Ihm fehlte der Überblick. Er war zu langsam. Zu viele Fragen. Tom erwog, Jara anzurufen, vielleicht wusste seine Freundin weiter, bestimmt hatte sie als Polizistin Zugang zu erhellenden Details. Aber Jara hatte sich Anrufe während der Dienstzeit verbeten. Sie nähme ein privates Gespräch gar nicht an und tadelte Tom später dafür. Er überlegte, Elmar Brink und Ivo Blume, die beiden hatten als Ruderer Geschichte geschrieben. Aber auch Paul Fontana hatte eine Zeit lang mit den beiden im Boot gesessen. Tom rief sich die entsprechenden Fotos in Erinnerung. Und da es im Rudersport den Dreier nicht gab, jedoch den Vierer, stellte Tom sich ein Viererboot vor, in dem ein Platz leer war, in dem ein Mann fehlte. Der Unbekannte, der vierte Mann, schrieb Tom in sein Notizbuch, ist die Schlüsselfigur. Das war der Hintergrund, der ausgeleuchtet werden musste.
    Tom listete die Namen der Personen auf, mit denen er Kontakt aufnehmen wollte, füllte die Seiten mit seiner fahrigen Schrift, kalkulierte, ob Jara, die korrekte Polizistin, falls er sie einweihte, ihn bei der Recherche wohl eher unterstützte oder bremste. Sie würde ihn gewiss auf die Zuständigkeit der Polizei verweisen, auf ihre Kompetenz. Polizeiliche Ermittlung war ein anderes Paar Schuhe als Fiktion, sein Fach. Doch war ein derart bizarr verflochtener Fall nicht die beste Ausgangslage für einen Schriftsteller? Was hast du bei Tolstoi gelernt, fragte sich Tom, redete sich Mut zu und leerte das Glas mit dem bernsteinfarbenen, rauchigen Scotch. Es braucht den spekulierenden Erzähler, um die Löcher im Gewebe zu stopfen, genau dies führte einem Tolstoi vor Augen. Tom betrachtete die Eiswürfel im Glas, deren Form sich langsam auflöste.
    Die Bar, das Kommen und Gehen der Gäste. Der Fernseher lief noch immer. Das Gewitter hatte sich endlich entladen, draußen war es inzwischen Nacht geworden. Der Barmann stellte Kerzen auf die Tische und zündete sie an. Tom saß in sich gekehrt

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