Vier Tage im August
da, schenkte den Stimmen und Gesprächen keine Beachtung mehr, hörte aber den Klingelton eines Handys. Es musste sein eigenes Handy sein, bestimmt. Er schaute auf das Display, seine Mutter, Iris, versuchte ihn zu erreichen. Er nahm das Gespräch an: Hallo Mama…
Hast du die Tagesschau … Elmar, ist es nicht gespenstisch?
Hm, ich… Tom zögerte einen Moment, ihm kam der Gedanke, seine Mutter könnte ähnliche Überlegungen anstellen. Sie wusste etwas, ahnte er, und hielt es zurück. Während er schwieg, hatte sie, gedämpft, die Geräusche der Bar im Ohr, den geschwätzigen Fernseher, ein Gast lachte hellauf, der Barmann spülte Gläser, etwas klapperte, Stühle wurden gerückt, eine Sektflasche entkorkt.
Wo steckst du denn?
In dieser Bar, Tremolo, du weißt schon, an der Straße zum See. Ich war draußen bei Ivo, Papa hat einen Knacks…
Hast du getrunken?
Ist das ein Verhör?
Weiß dein Vater schon…
Keine Ahnung, wahrscheinlich hat er Anrufe erhalten.
Ich rufe ihn auch gleich an, für Ivo muss es schlimm sein.
Was ist mit Paul?
Er… er ist ein Stockfisch.
Sie waren Freunde.
Ja, Ivo und Elmar, aber auch Paul…
Die Stimme seiner Mutter war plötzlich weg. Der Akku musste leer sein, oder Iris hatte versehentlich irgendeine Taste gedrückt. Bestimmt rief Iris nochmals an, davon war auszugehen, falls nicht, könnte er selbst versuchen, sie zu erreichen, später. Jetzt bestellte er den dritten Whisky. Den ersten hatte er weggeschluckt, auch den zweiten zügig gekippt, für den dritten nahm er sich vor, ihn langsam zu trinken, sich richtig Zeit zu lassen, der dritte Scotch sollte die in seinem Kopf kreisenden Gedanken etwas abschwächen.
Der vierte Tag
DER VENTILATOR WÄLZTE abgestandene Luft um. Eine Note darin verriet die Anwesenheit einer Katze. Tom liebte das schleifende Geräusch des Propellers, es sorgte für einen willkommenen Grundton im Schreibzimmer. Er öffnete die Tür zu den kühleren Kellerräumen. Die Vorhänge waren zugezogen. Von seinem Zimmer aus bekäme Tom ohnehin nur Schuhe, bestrumpfte Waden und Hosenbeine zu sehen.
Benommen war Tom aufgestanden. Erst als er sich das Hemd zuknöpfte, hatte er festgestellt, dass er überhaupt geschlafen haben musste. In der Wohnung über seinem Schreibzimmer, in Jaras breitem, auf ihrer Seite schon wieder erkaltetem Bett. Die Ereignisse, an die sich Tom erinnerte, lauter unerfreuliche Angelegenheiten. Es wäre angenehmer, die letzten Tage bloß geträumt zu haben. Jetzt war er wach, zweifellos, alles ringsum war handfest. Ohne sich dagegen wehren zu können, war Tom in fremde Angelegenheiten verstrickt worden. Sich aus den Komplikationen herauszustehlen, war unmöglich.
Tom glaubte, das Ganze zu durchschauen.
Vielleicht sah er auch nur Gespenster.
Er hatte zu viel Whisky getrunken. Ein richtig schlimmer Fehler war das nicht. Seltsamerweise erinnerte er sich nun an die langsam im Glas zerfließenden Eiswürfel. Die Dinge entzogen sich einem still. Selbst Gedanken, die im Kopf kristallklar waren, trübten sich ein, sobald sie zu Papier gebracht werden sollten. Tom klickte nervös mit dem Kugelschreiber. Er fing neue Sätze an, strich sie aus, ersetzte Wörter…
Der liebenswürdige Barkeeper hatte Toms Schreiben und Brüten nach Mitternacht unterbrochen:
Wir schließen jetzt.
Er bot sich sogar an, Tom nach Hause zu fahren.
Keine Kopfschmerzen, keine Nachwehen, das war ein richtiger Pluspunkt. Trotzdem fühlte sich Tom stumpf. Sein Stuhl war unbequem, der gepolsterte Lederhocker sah einem dicken Boxhandschuh zum Verwechseln ähnlich. Tom gähnte. Alles schleppte sich dahin. Die Verlockung, den Tag schon jetzt verloren zu geben, war stark. Tom dachte an Jara, die niemals einen Tag verloren gab, und an all den Kram, den es zu erledigen galt, und an die Schelte, die er wegen des versäumten Auftritts als Clown von seinem Chef zu erwarten hatte.
Ohne zu murren, hatte Jara die Schicht für einen Kollegen übernommen, der im Krankenhaus bei seiner Frau auf das Baby wartete. Nach einer kurzen Nacht war sie bereits wieder im Einsatz. Einen Augenblick vermutete er, seine Unlust, den Tag zu beginnen, habe mit der Befürchtung zu tun, diesen Tag nicht zu meistern. Ihm kamen verbotene Zimmer in den Sinn, deren Tür zu öffnen immer ein Fehler war.
Tom rief Paul an, um mit ihm zu sprechen. Doch Paul war in der Therapiestunde, die Pflegefachfrau riet ihm, es später nochmals zu versuchen.
Zerstreut zog Tom die Vorhänge seines Schreibzimmers beiseite
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