Vier Tage im August
und öffnete die Fenster zur Straße. Der Tag hatte auch ohne Toms aktive Beteiligung längst begonnen und auch ohne ein Lebenszeichen der Katze. Der Himmel war ganz klar, das Gewitter hatte die Atmosphäre gereinigt. Frische Luft strömte herein; er konnte merklich besser atmen.
Tom raffte sich auf, ging zum Kiosk, kaufte Zeitungen, begann schon auf dem Rückweg, die Nachrufe auf den Sportseiten zu lesen, kopfschüttelnd, und im Schreibzimmer klickte er sich durch die entsprechenden Berichte im Internet. Er schaltete den Ventilator auf die tiefste Stufe. Das Geräusch der sich langsam drehenden Flügel wirkte beruhigend, es gelang Tom endlich, konzentriert nachzudenken.
Um zwölf Uhr hatte er bereits zu viel bitteren schwarzen Kaffee getrunken, jedoch außer Honig mit dem Löffel aus dem Glas noch nichts gegessen. Der Kater sollte nun endlich etwas fressen, Tom holte für ihn ein Stück Wurst aus dem Kühlschrank.
Als Jara spät in der Nacht von der Streife nach Hause gekommen war, hatte sie Tom am Schreibtisch angetroffen. Der Computer war ausgeschaltet. Tom schrieb Din-A3-Blätter voll. Als könnte das Schriftliche helfen. Als könnte das Schriftliche heilen. Als ließe sich die feine Substanz fassen, die ihm durch die Finger rann, wenn er nur beherzt genug schrieb.
Jara brachte leider keine weiteren Informationen, die Polizei hielt sich bedeckt, ermittelte emsig und still und rückte keine neuen Details zur Erhellung des Falls heraus. Der Täter muss Elmar Brink aufgelauert und mit einem gezielten Stich getötet haben, sagte Jara. Dem Tod haftet der Ruch einer Hinrichtung an, formulierte sie. Da ist kein Irrer ausgerastet, da hat jemand kaltblütig gemordet.
Jara hatte die Hände auf Toms Schultern gelegt, die Finger in den runden Ausschnitt seines T-Shirts geschoben, sie waren kühl. Leicht gegen ihn gelehnt, er spürte ihr Schambein, hatte sie darauf gewartet, dass er seine Hände um ihre Hände schloss, um sie zu wärmen. Später stiegen sie zusammen die Treppe hoch in die Wohnung. Tom ging vor Jara, sie schob ihn am Po, unter die Dusche und ins Bett.
Die Nachrufe, die Tom gelesen hatte, waren größtenteils persönlich gehalten und von Anteilnahme und Trauer geprägt, enthielten jedoch keine verwertbaren Neuigkeiten, nichts, was ihn aufhorchen ließ. Er hatte die Berichte ausgeschnitten und ausgedruckt. Ein kleiner Stapel, bereits Altpapier, lag auf dem Tisch.
Elmar Brink, innovativer Geschäftsmann (Immobilien/ Baubranche)… trat nach seiner Sportkarriere (Glanzzeit im Doppelzweier mit dem Partner Ivo Blume) in die Firma seines Vaters ein. Ein Macher, Vorbild, der Leader. Der Rudersport hat mit dem Generalunternehmer Brink eine Legende, einen Mäzen und Förderer von Nachwuchsteams verloren. Der Verlust ist unermesslich. Sein Tod unfassbar. Niemand kann das Geschehene nachvollziehen. Der junge Elmar Brink war als Stipendiat nach Oxford gerufen worden, um den Prestige-Achter der Universität zu verstärken. Damit ging ein Traum in Erfüllung. Zwei Jahre gehörte er der Mannschaft an, die Oxford im Duell gegen Cambridge vertrat, im berühmten, alljährlich auf der Themse stattfindenden Rennen.
Tom hatte seinen Vater endlich erreicht, er wollte ihn unbedingt besuchen, doch Ivo schien sich auf eine Fortsetzung des Gesprächs nicht besonders zu freuen. Mit dem Skiff ruderte er auf den See hinaus. Bei Windstille bildete das Wasser eine ausgedehnte, vollkommen glatte Fläche. Das Rudern half ihm, sich zu sammeln und zur Besinnung zu kommen. Ivo war Realist. Und kein Feigling. Zumindest hatte er das vor kurzer Zeit noch von sich gedacht. Wenn er mit dem langen Skiff den See pflügte, seine Muskeln bewegte, den Kopf auslüftete und sich, was auch immer vorgefallen war, bewusst machte, dass er in dieser halben Stunde auch ein Modell mit Auslegern aus Karbon prüfte, weil das sein Job war, dann ging es ihm viel besser. Und er sollte mit Tom reden. Ja. Auf den Ruderblättern war so und so viel Druck, messbar, der Rumpf verdrängte Wasser, er hatte seit Archimedes gar keine andere Wahl. Und dies hatte sich doch nicht geändert, darauf war doch nach wie vor Verlass.
Nadja hatte auf der Heimfahrt im Auto Radio gehört und nach der Todesnachricht auf dem Pannenstreifen angehalten. Sie rief Ivo an. Er wollte zunächst nicht glauben, was seine Freundin ihm mitteilte. Aber eine Verwechslung war nicht möglich. Ivo kam sich wie ein Mann vor, der an zwei aufeinanderfolgenden Tagen vom Blitz getroffen worden war. Und
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