Vier Tage im August
kräftige Finger. Es hat Paul ganz übel erwischt, dachte Iris, wie er zittert. Sie wiederholte diesen Gedanken, ein Mantra. Dabei war das, was sie an ihm liebte, was ihn auszeichnete, eine vollkommen ruhige Hand gewesen. An ihm sei ein Uhrmacher oder Chirurg verloren gegangen, hatte er schon oft zu hören bekommen. Paul lachte darüber. Andere Berufe hatten ihn nie gereizt. Es fehlte ihnen das für ihn Wesentliche. Paul Fontana liebte Wasser und alles, was mit dem Wasserhaushalt zusammenhing. Eine Leitung zu legen, einen Boiler anzuschließen, fließendes Wasser einzurichten, warm und kalt, die gesamte sanitäre Anlage eines Neubaus: War das nicht eine gigantische Arbeit?
Paul Fontana war Mitte fünfzig, und es hatte in seinem Leben nie etwas gegeben, was er lieber gemacht hätte und was zu tun ihm sinnvoller erschienen wäre. Und darum war er kein Mann, der mit seinem Leben haderte und sich nun fragte, warum die Dinge so gelaufen waren und nicht anders. Aber sollte er seinen Beruf nicht mehr ausüben können, wäre die Auswirkung zerschnittener Sehnen verheerender für ihn als ein Stich ins Herz. Er war Klempner mit Leib und Seele. So gesehen war er schlechter dran als Elmar Brink. Ein Leben ohne brauchbare und geschickte Hände erschreckte ihn mehr als der Tod.
Tom aß sein Sandwich. Es war, ohne Butteraufstrich, zu trocken. Nur Salami und Käse und ein schlaffes Salatblatt zwischen weißen Brotscheiben. Paul wünschte nun, ein Stück Schokokuchen zu essen, Iris schnitt es in mundgerechte Stücke und fütterte ihn. Dennoch blieben Krümel an seinem Kinn hängen. Iris wischte sie mit dem Daumen weg. Sie wirkte ungeduldig, behandelt Paul beinahe harsch. So hinfällig hatte er ihn noch nie erlebt, Tom spürte einen Kloß im Hals und begann Paul über Elmar Brink auszufragen. Paul rang mit sich, erzählte schleppend, als hätten die Medikamente seine Zunge träge gemacht. Iris ergänzte. Dabei hielt sie sich zurück, übervorsichtig, um nichts Voreiliges zu sagen. Damit die Stimmung nicht wieder kippte, dachte Tom. Seine Mutter sagte nichts, was zu erzählen ihrer Meinung nach Pauls Sache war, in Pauls Ermessen lag.
In der Cafeteria war die Atemluft stickig, die Fenster konnten nicht geöffnet werden, die Klimaanlage funktionierte schlecht, sie wirbelte bloß Keime auf und verbreitete den Krankenhausgeruch. Durch hohe, mit Silhouetten von Raubvögeln beklebte Scheiben schaute man auf einen bekiesten Innenhof, ein paar Tische und Stühle und Kübelpalmen. Spatzen hüpften herum und ärgerten eine zögerliche Taube. Sie konnte sich nicht entschließen, mit der Beute wegzufliegen, einem Keks, den ihr die kleinen Vögel strittig machten.
Nach der Rückkehr von Oxford war Elmar Brink von der Idee besessen gewesen, auch hier einen starken Achter aufzubauen, ein Siegerboot.
Hat aber nicht geklappt?
Wir waren stark, in der Schweiz schlugen wir alle Boote, sagte Paul. In England, bei der Henley-Royal-Regatta, schieden wir aus. Wir kamen unter die letzten sechs. Die Themse ist schmal. Es fahren immer zwei Boote gegeneinander. Wer verliert, ist draußen.
Und muss nach Hause fliegen.
Elmar wollte die Regatta unbedingt gewinnen. Wir haben zweimal teilgenommen. Im zweiten Jahr kamen wir unter die besten acht.
Für Elmar Brink zählte einzig der Sieg.
Er war der ehrgeizigste Mensch, den ich kannte.
Eine dritte Teilnahme kam nicht infrage?
Es machte keinen Sinn mit unserem Achter, er war zu wenig ausgewogen. Das Timing stimmte nie ganz. Es fehlte uns die Perfektion. Aber es ist für einen Club schwer, acht gleichwertige Ruderer aufzubieten. Elmar Brink war unser Schlagmann. Und der Kopf des Projektes Henley, wie er es nannte.
Er war ein selbstgefälliger Aufschneider, erklärte Iris, man wusste nie so richtig, woran man mit ihm war.
Er stand so fraglos und selbstverständlich auf der Gewinnerseite des Lebens, meinte Paul.
Vom Ende her betrachtet, muss das allerdings korrigiert werden, sagte Tom spitz, aber ohne ironischen Tonfall.
Elmar hat unser Boot finanziert, erklärte Paul, natürlich stellte sein Vater das Geld zur Verfügung, er hat richtig geklotzt.
Elmar Brink war der Mann, der immer als Erster durch die Tür ging, sagte Iris.
Dann ließ er Henley fallen. Für ein neues Unternehmen. In Absprache mit dem Präsidenten des Ruderclubs hat er den Achter aus dem Rennbetrieb genommen und einen Vierer aufgebaut.
Und der war schnell?
Sehr schnell.
Der neue Traum?
Das war die Olympiateilnahme des Vierers, sagte
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