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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Blatter
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Wandfarbe und des Bodenbelags. Iris starrte geradeaus, ihr Blick war so ausdruckslos, man könnte sie für eine Blinde halten. Sie blieb einen Schritt hinter Paul zurück, der das Infusionsgerät ruckweise und ungehalten Richtung Fahrstuhl stieß.
    Iris hatte selbst viele ihrer Erlebnisse vergessen. Sie wollte sich nicht mehr an ihre Dummheiten erinnern. Und sie wünschte auch von niemandem daran erinnert zu werden. Wie ihr Mann war sie nicht darauf erpicht, Abbitte zu leisten. Vergiss es. War sie es sich nicht selbst schuldig, die Demütigung von Genua aus ihrem Gedächtnis zu streichen? Den hässlichen Augenblick. Den Wahnsinn. Als er ihr die Kleider aufschlitzte. Der abartige Typ musste ihr Bluse und BH mit dem Messer zerschnitten haben. Iris erinnerte sich nicht, die entsprechenden Gesten fehlten in ihrer Erinnerung. Ja, sie glaubte, im Recht zu sein, wenn sie das alles verdrängte. Der Gerechtigkeit halber sollte sie ihrem Mann darum auch keine Vorwürfe machen. Paul war vor der Wissbegier Toms geflüchtet und aus der Cafeteria gestürmt. Sie sollte billigen, dass ihr Mann sich lieber ausschwieg. Sie selbst erlag ja auch höchst selten dem Bedürfnis, jemandem ihre dunkle Seite zu eröffnen, ihre Geheimnisse zu offenbaren.
    Iris blieb stehen, vor einer silbermatt schimmernden Tür, leicht irritiert, warum?
    Warum stehst du hier?
    Sie schloss die Augen.
    Zusammen mit ihrem Mann wartete sie beim Aufzug, der sie zum Stockwerk bringen sollte, in dem Pauls Zimmer lag. Iris drückte auf den Knopf. Ein Lämpchen leuchtete auf, die Kabine setzte sich oben in Bewegung, Iris hörte das Knacken der Zugseile im Schacht hinter der Tür mit dem Lichtschlitz. Paul befand sich im Kopf wohl schon bei der Visite. Sie hatte sich an die Vorstellung gewöhnt, sich in einer anderen Sphäre als ihr Mann aufzuhalten. Von ihm abgeschnitten zu sein. Als hätte er die Kettenbrücke hochgezogen. Es erschien ihr alles gleichermaßen rätselhaft. In Gedanken durcheilte sie ihre Ehe wie ein reich bebildertes Album. Eine Art Daumenkino. Sie beobachtete Paul, den wohl andere Sorgen bedrängten. Mit einem Ruck hielt der Aufzug an. Auch die Zwiesprache und stummen Tiraden in Iris’ Kopf kamen zum Stillstand. Sie wurden zerstreut, als sich Iris auf praktische Tätigkeiten konzentrierte, auf Handgriffe, Schritte, Worte und auf die Entscheidungen, die zu fällen waren. Die schwere Tür öffnete sich nach einem Klingelton; aber zu ihrer eigenen Überraschung stieg Iris nicht mit Paul in den Aufzug ein, sondern wandte sich ab und lief den langen Flur zurück zur Cafeteria.
    Sie musste mit Tom weitersprechen, es gab noch ein paar Dinge zu klären, es lag ihr am Herzen.
    Gestern, als sie vom Mord an Elmar Brink erfahren hatte, war ihr schlecht geworden, und sie hatte sich im Bad ihrer Freundin, bei der sie vorübergehend wohnte, übergeben müssen. Später hatte sie ihren Mann im Krankenhaus angerufen, mit dem dringenden Bedürfnis zu reden. Doch ihre Worte erreichten Paul nicht. Er blieb stumm, sie hörte ihn atmen. Dann legte er auf. Warum stellte sich Paul lieber tot, als seiner verzweifelten Ehefrau anzuvertrauen, was ihn innerlich auffraß? Lag es an ihr, war sie der Grund für seine Verweigerung? Und hatte sie dasselbe nicht bereits mit Ivo erlebt, ihrem ersten Mann? Sie, Iris, erreichte ihre Männer nicht. Den ersten nicht, den zweiten nicht, auch zu Ivo war sie oft nicht durchgedrungen.
    Iris sah Tom durch die gläserne Tür der Cafeteria, er saß immer noch am selben Tisch. Iris blieb stehen. Er schrieb in ein Notizbuch, das ließ sie zögern. Es kostete sie Überwindung, ihn dabei zu stören.
    Jetzt schaute er auf die Uhr.
    Gewiss wartete er auf seine etwas konfuse Mutter.
    Toms Freundin fiel ihr ein. Die Polizistin hatte ihr ganz sachlich mitgeteilt, was mit der Wohnung der Fall war, ihr aber dann liebenswürdig angeboten, sie auf einer Einkaufstour zu begleiten. Iris hatte kein Wort herausgebracht, nur den Kopf geschüttelt. Sie konnte die Botschaft nicht fassen. Die sofortige Einsicht wäre zu einschneidend gewesen. Sprich gleich mit der Versicherung, riet Jara. Und beim Abschied hatte die Polizistin, statt Iris die Hand zu geben, mit zwei Fingern an die Mütze getippt. Jara war zupackend und praktisch, die richtige Frau für Tom, vielleicht gerade auch, weil sie ein paar Jahre älter war. Jara wusste immer, was zu tun war. Wiederum könnte es auch möglich sein, dass die untadelige Polizistin, diese Bohnenstange, die flache Schuhe anzog,

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