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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Blatter
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Paul und fügte hinzu, Elmar hat das nicht Traum genannt, Ziele erreicht man nicht im Schlaf, wir haben extrem hart dafür gearbeitet.
    Brink hat nochmals das Geld vorgelegt.
    Ihr habt die Qualifikation geschafft?
    Ja, aber unser Vierer wurde vor den Olympischen Spielen aufgelöst; wir sind gescheitert.
    Gescheitert, woran?
    Paul schwieg.
    Warum?
    Es ist so lange her, eine alte Geschichte, ich habe die Details zum Glück vergessen, Tom. Ich sollte jetzt zur Arztvisite, der Handchirurg hat nochmals eine Untersuchung angeordnet. Ein wichtiger Professor möchte mich anschauen. Die Bandagen müssen auch dringend gewechselt werden. Es ist wichtig. Es juckt mich schon.
    Paul hielt die mit Mull umwickelten Hände hoch, er sah bejammernswert aus. Und er war verschreckt, weil Tom ihn ausfragte, weil Tom ihn nötigen wollte, über die Vergangenheit zu reden, auszupacken. Er fühlte sich in die Enge getrieben, er wollte kein Geständnis ablegen müssen. Paul hockte da wie ein Vogel mit gestutzten Flügeln, der sich wegen seiner Fluguntauglichkeit genierte.
    Der Vierer hat die Landesmeisterschaft gewonnen, bei Luzern, auf dem Rotsee, fügte Iris hinzu.
    Es war unser letztes Rennen, sagte Paul. Er hatte sich einen Ruck gegeben. Wir haben uns nach dem Sieg zerstritten. Es gab keine Aussprache. Stattdessen Vorhaltungen. Wir haben uns nie mehr zusammen in ein Boot gesetzt, ich habe den Rudersport aufgegeben.
    Du sprichst vom Vierer mit Steuermann.
    Ja, sagte Paul, aber es war eine Steuerfrau.
    Er sagte das mit fester Stimme. Trotzdem war förmlich zu spüren, dass etwas in ihm vibrierte, eine verborgene Saite, die nicht aufklingen sollte. Paul saß mit hängenden Schultern auf dem Stuhl, eingesackt, stumm, zu keiner weiteren Aussage bereit, und Iris, die ja die Fortsetzung kannte, zögerte, bis sie nicht länger an sich halten konnte:
    Ich weiß nicht, wie das alles zusammenhängt, presste sie heraus, aber ich fürchte, dass es zusammenhängt.
    Aha, meinte Paul.
    Iris wusste, dass ihr Mann sie nun zu den unausstehlichen Frauen zählte, die sich in einer Art Hysterie einredeten, was sie unbedingt glauben wollten. Sie aber fühlte sich gedrängt, die Dinge endlich anzusprechen, sie endlich auszusprechen. Zurückgehaltene Worte vergifteten einen auf Dauer, es war ein schleichender Vorgang, und obwohl ihr das bewusst war, sträubte sich etwas in Iris, den Bann zu brechen.
    Hm, murrte Paul, stand abrupt auf.
    Und marschierte, samt seinem fahrbaren Gestell, dem jämmerlichen Tropf, an dem er hing, davon.
    Tom blieb verdutzt sitzen.
    Iris erhob sich ebenfalls, sie wirkte bedrückt. Tom nickte ihr aufmunternd zu, bemerkte die Fältchen, die sternförmig von ihren Augenwinkeln ausgingen.
    Iris beeilte sich, sie wollte ihren Mann einholen, erreichte ihn vor der Glastür, öffnete sie, war ihm behilflich. Zusammen betraten sie den langen Flur, der zum Aufzug führte.
    Mit der Schulter schob Paul den Ständer vor sich her, in dem die Flasche mit der schmerzstillenden Flüssigkeit schaukelte. Ein Mannsbild, auf den ersten Blick. Ein schwer beschädigter Mann, wenn man genauer hinschaute und die bittere Diagnose kannte. Neben ihm ging Iris. Sie reichte Paul nicht ganz bis zur Schulter und redete auf ihn ein, auf ihren dummen Mann, der sich das Träumen verboten hatte und nun unter Alpträumen litt und allen vortäuschte, er sei die Ruhe selbst. Doch seit dem Schock von Genua ließ er niemanden mehr an sich herankommen. Und er hasste es, wenn sich ein Selbstgerechter wie Tom anmaßte, in seiner Lebensgeschichte wie in einem Fertiggericht herumzustochern.
    Tom wusste nicht, was alles in Pauls Kopf vorging. Aber der fluchtartige Abgang beschäftigte ihn. Iris und ihr Mann, die sich im Flur entfernten, erweckten sein Mitgefühl und seinen Argwohn. Am Ende war es falsch, sie für ein innig vertrautes Paar zu halten. Im Augenblick gingen sie zwar zusammen den Flur entlang, doch das gemeinsam erduldete Leid konnte sie nicht nur enger verkettet, sondern auch entzweit haben. Jeder schien auf seine Weise zu leiden. Und Tom fürchtete, dass sie jetzt, nachdem sie den ganzen Hausrat, alle ihre Siebensachen verloren hatten und weder Bett noch Tisch mehr besaßen, vielleicht niemals mehr Tisch und Bett miteinander teilen würden. Teilen wollten. Plötzlich fürchtete Tom, seine Mutter und Paul könnten sich trennen, die leere Wohnung entspreche ihrer Ehe, und Genua sei der letzte Akt gewesen.
    Der Flur zog sich hin, im Neonlicht sah man die Hässlichkeit der

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