Vier Tage im August
geht?
Louise Brink ist eine richtig mutige Frau.
Ich kenne sie ja, sagte Tom und dachte, seine Mutter hätte mit der Beschreibung auch sich selbst charakterisieren wollen.
Paul geht es nicht so gut, wechselte Iris das Thema.
Hat er Schmerzen?
Er bekommt starke Medikamente dagegen. Die Schwellungen im Gesicht sind noch kaum zurückgegangen. Die Hände bereiten ihm Kummer, er hat Angst.
Dass Elmars Mörder auch hier auftaucht?
Nein, er befürchtet, dass die Ärzte seine Hände…
Und du siehst diese Gefahr nicht auch?
Sie holten Paul in seinem Krankenzimmer ab. Er sah bedauernswert aus mit seinen Blutergüssen. Iris küsste ihn auf die Schläfen, unsicher, ob sie ihm damit nicht Schmerz zufügte. Er roch nicht besonders angenehm. Einer neurologischen Untersuchung wegen hatte man ihm die Haare geschoren. Damit die Sonden sauber angebracht werden konnten. Seine Kopfhaut war matt und fleckig. Und er war schlecht rasiert. Die Stoppeln standen ihm nicht, sie ließen ihn alt und ungepflegt erscheinen.
Wie geht es dir heute, erkundigte sich Tom, und als Paul nur missgelaunt knurrte, fing er gleich mit Elmar Brink an:
Ich hab die Tagesschau gesehen, in einer Bar, sagte er, ich bin schier vom Hocker gefallen.
Auf dem runden Tisch des Krankenzimmers, neben einer Vase mit frischen Schnittblumen, lag Pauls Fotoapparat. Der einzige Gegenstand, der nicht gestohlen worden war. Paul hatte die von Blut verunreinigte Schleife in Genua um sein Handgelenk geschlungen gehabt, und in Tom entzündete sich plötzlich die Hoffnung, der kleine Fotoapparat könnte nicht bloß den Kampf heil überstanden haben, sondern ein Geheimnis bergen: das Bild des Täters. Es war ja denkbar, dass Paul den Kerl, der ihn niedergemacht hatte, vor dem Angriff noch fotografiert hatte.
Darf ich mal, fragte er.
Da weder Paul noch Iris antworteten, schaltete er die Kamera ein und suchte die letzten Aufnahmen. Tom fand nur ein einziges Bild. Das gespeicherte Foto zeigte die Hände einer Frau, die hellen Innenflächen ihrer Hände, die mit Liebesstellungen aus dem Kamasutra geschmückt waren. Kopulierende Paare waren mit Henna aufgemalt oder mit Tinte eintätowiert worden. Tom konnte es nicht entscheiden. Aber es war auch nicht wichtig.
Das Gesicht Pauls erinnerte Tom an ein Phantombild, es war deformiert und starr. Die Beulen und Hämatome machten es beinahe unkenntlich. Auf dem Nachtkästchen lagen die Zeitung, der Sportteil mit dem Nachruf, und eine angebrochene Tüte Karamellbonbons. Paul trug den roten Trainingsanzug, den Tom am Flughafen für ihn gekauft hatte. Iris hatte ihm eine Jeans und einen Pullover mitgebracht. Bevor sie ihrem Mann half, die neuen Kleider anzuziehen, löste sie ihn vom Tropf. Paul schaute ungläubig zu, seine Hände waren für nichts zu gebrauchen.
Ich möchte jetzt einen Tee, sagte Iris.
Bevor sie das Zimmer verließen, schloss sie den verschlungenen Schlauch wieder an. Klare Flüssigkeit rann in eine Vene an Pauls Unterarm.
Also los, sagte Iris ein wenig zu munter.
Tom schob den Infusionsständer Pauls langsam und etwas linkisch aus dem Zimmer zum Lift.
Ihr Ziel war die Cafeteria im Erdgeschoss.
Dieses düstere Unwirklichkeitsgefühl. Paul steckte wie in einer Wolke darin. Der Handchirurg hatte ihn nicht beruhigen können. Die Aussicht, seine Finger könnten die volle Beweglichkeit nicht wiedererlangen, bedrückte ihn. Unvorstellbar. Jeder Gedanke daran war ein Dämpfer. Er malte sich aus, unfähig zu sein, den neuen Siphon im Bad eines Hauses zusammenzustecken, die gebogenen und geraden Rohre, die Gewinde, Dichtungen und Muffen. Allein in diesem Krankenhaus gäbe es eine Menge zu reparieren. Daran zu denken, war eine wirksame Zerstreuung. Es lenkte ihn auch von Elmar Brink ab. Und von seiner ausgeraubten Wohnung, eine Tatsache, die er in ihrer ganzen tragischen Wucht noch gar nicht an sich hatte herankommen lassen. Paul wollte das alles nicht wahrhaben.
Iris bestellte Kaffee für Paul und für sich einen parfümierten indischen Tee. Tom fragte nach einem Sandwich und trank ein alkoholfreies Bier.
Die Finger, sagte Paul, ich spüre sie immer noch nicht, kann sie kaum bewegen.
Du sollst sie auch nicht bewegen.
In der Physiotherapie schon, wir haben angefangen.
Und das Gesicht?
Ich sehe aus wie ein Monster.
Paul hatte Mühe mit der Kaffeetasse, fasste sie mit beiden dick verbundenen Händen an, wie ein ungeschicktes Kind, hob sie langsam zum Mund. Er hatte große, weiche Hände, Tom wusste das genau, und
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