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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Blatter
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als Accessoires, Zähne, Beine, Lächeln. Würfelte der Zufallsgenerator die bezaubernden Extras durcheinander und verteilte sie neu, das Publikum würde es nicht bemerken, und darum war jede der Frauen die Allerschönste, verdiente jede der Kandidatinnen das Krönchen. Tom fühlte sich wohl, war ganz entspannt, atmete den betörenden Einheitsduft ein und führte ein paar tolle Kapriolen vor, die er lange hatte üben müssen. Sogar die Pirouette gelang ihm bestens. Die Kandidatinnen hatten keine Berührungsangst, er war ein Maskottchen, nur der übergroße Kopf störte, wenn er in ihrer Mitte stand und ihnen die Arme um die Hüften legte oder die Frauen sich eng an ihn pressten, um mit ihm für die Fotografen zu posieren, dem Clown, der keine Eifersucht weckte.
    Die Pause vor dem nächsten Auftritt nutzte Tom für Gespräche und Anrufe, dabei erfuhr er, dass Alice Braun, die Steuerfrau des Vierers, vor zwei Wochen, am 21.Juli, verstorben war.
    Mit einem Mal schloss sich ein Kreis.
    Als er seinen Lancia parkte, dachte er einmal mehr, wie anmutig die Lage am See war. Das Blau von Wasser und Himmel, das Grün des stillen Waldes, Kiesplatz, Wiesland, Bäume und ein friedlicher Hundezwinger. An diesem idyllischen Ort, dürfte ein vorbeikommender Wanderer den Eindruck gewinnen, lebt gewiss eine glückliche Familie.
    Tom wurde erwartet.
    Nach der Fahrt mit dem Skiff wie geläutert, gab Ivo Blume seine Starrköpfigkeit auf und stellte sich den Fragen Toms. Er sah das jetzt als seine Schuldigkeit. Vater und Sohn durchforsteten einen Ordner mit der Überschrift Vierer mit Steuerfrau. Darin hatte Ivo Fotos, Zeitungsberichte und eigene Notizen abgeheftet.
    Ivo rekonstruierte die verdrängte Seite seiner Vergangenheit allerdings nicht allein wegen Tom. Er hatte sich durchgerungen, sie endlich als ein Kapitel seines Lebens anzunehmen. Wenngleich nichts wiedergutzumachen war und keinerlei Korrektur möglich. Ivo Blume war, wie er sich ausdrückte, trotzdem zum Tauchgang bereit.
    Drei der Männer, die damals im Meister-Vierer saßen, sind attackiert worden. Mit dieser Feststellung glaubte Tom, den letzten Widerstand seines Vaters geknackt zu haben. Der vierte Mann ist bisher unbehelligt geblieben. Er könnte der Nächste sein.
    Auf Platz vier im Boot ruderte nicht immer derselbe Mann. Tom fiel das bei der Durchsicht des Ordners gleich auf. Bei den Rennen im Frühjahr saß ein anderer Mann am vierten Ruder als bei den letzten Rennen im Herbst. Tom nahm die Fotos aus dem Ordner heraus und legte sie nebeneinander auf den Tisch. Bei der verhängnisvollen Siegfahrt hieß der vierte Ruderer René Spring, bei Saisoneröffnung hatte er Leo Zimny geheißen.
    Leo Zimny war ausgetauscht worden.
    Warum?
    Nicht weniger als die doppelte Besetzung des vierten Ruders zogen die Fotos der Steuerfrau Toms Aufmerksamkeit auf sich. Wegen ihr, Alice Braun, war die Geschichte vertrackt und persönlich geworden. Allein ihren Namen zu hören, war Ivo unangenehm. Ihn auszusprechen, brachte ihn nach vielen Jahren noch immer in Verlegenheit. Der Unfall, die Tragödie mit der Steuerfrau, war der Grund gewesen, die Saison abzubrechen und zu vergessen. Der Vierer hatte sich nach dem Höhepunkt, der Meisterschaft auf dem Rotsee, im Handumdrehen von einer optimal funktionierenden Renngemeinschaft in eine kleinmütige Versagertruppe verwandelt. Nur, es gab da einen wesentlichen Unterschied. Die Meisterschaft hatten die Männer als verschworene Truppe errungen, mit seinen Gewissensbissen war jeder allein geblieben, ein erbärmlicher Einzelkämpfer. Die vier Männer wollten den Fall so handhaben, es war ihre Entscheidung. Der Vierer bildete ausschließlich auf dem Wasser einen perfekt funktionierenden Bund.
    Das war’s dann gewesen.
    Keiner sprach die notwendigen, die erlösenden Worte. Keiner besaß die Größe dafür, keiner war Manns genug. Es war den vier Sportlern eingetrichtert worden, den Blick stur nach vorn zu richten. Diese Denkweise hatten sie verinnerlicht.
    Ivo Blume schwieg, er legte eine Hand über den Mund.
    Du hast weitergemacht mit Elmar Brink?
    Elmar kam vor dem Beginn des Wintertrainings auf mich zu, wir hatten die besten Voraussetzungen für den Doppelzweier. Wir galten von der Physis her nahezu als Zwillinge. Elmar Brink hat mich überredet, ich habe es ihm nicht schwer gemacht, die Chance hat mich auch gereizt.
    Und der Vierer, das Unglück…
    Wir haben die arme Alice mehrmals besucht, es war deprimierend, und dann haben wir die Sache

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