Vier Tage im August
Schlagmann im Vierer mit der verunglückten Steuerfrau saß… wie das alles angefangen hatte.
Der Präsident, bekam Tom zu hören, sei vor dem ersten Rennen des Jahres mit einer Sportlehrerin im Clubhaus aufgetaucht. Er habe zur Begrüßung die Arme gehoben, rundum allen zugewinkt und der verdutzten Mannschaft des Vierers seine Begleiterin vorgestellt. Elmar Brink, Ivo Blume, Paul Fontana und Leo Zimny hatten eben das Training beendet. Ausgelaugt von der kräftezehrenden Wasserarbeit, standen die Ruderer beim Getränkeautomaten, Leo füllte gerade sein Glas mit Orangensaft.
Das ist Alice Braun, sagte der Präsident, sie ist ab sofort verantwortlich für euer Boot, und sie ist auch die Steuerfrau.
Leo ließ den Orangensaft fast überlaufen.
Elmar Brink kam am schnellsten mit der Situation klar, bestimmt hatte er bei der Wahl auch mitgeredet…
He, Leo, scherzte Elmar, glotz nicht so.
Elmar Brink hatte etwas Triumphierendes.
Das brachte Alice nicht in Verlegenheit, sie überging sein Gehabe, schien sich zu freuen und bot den Ruderern von ihren Gummibärchen an.
Und Alice trainierte den Vierer. Alle Übungen an Land, im gesprenkelten Licht auf dem Rasenplatz, unter den Bäumen, leitete sie zielgerichtet und bestimmt, fand gleich den richtigen Ton, brachte die Männer auch zum Lachen, keine Eiertänze, stellte für jeden der vier nach Einzelgesprächen ein genau auf ihn zugeschnittenes Programm zusammen, sie hatte ihre Körper mit den Augen vermessen. Sie ordnete an, mit der Pulsuhr zu trainieren, die Ruderer schnallten das Gerät mit einem Riemen um die Brust, Alice notierte die Werte, führte Buch. Stand da in Shorts, im Baumschatten, kritzelte in ihr Notizbuch. Sie fasste die Männer auch an, korrigierte ihre Haltung, boxte Elmar gegen den Waschbrettbauch, drehte den Kopf von Paul am Kinn um ein paar Grad, der Schweiß störte sie nie, der Geruch der Männer, denen Rinnsale über die Haut liefen. Sie bestimmte in der nüchternen Folterkammer hinter dem Bootshaus die Gewichte für das Krafttraining, ließ die vier im nahen Wald auf der Finnenbahn schnelle Runden drehen, stoppte die Zeiten, mutete ihnen vier, fünf Kilometer lange Ausdauerläufe zu, feuerte sie an. Einmal im Monat musste jeder in sechs Minuten, der Renndauer des Vierers, eine möglichst große Strecke zurücklegen.
Elmar Brink war dabei der Beste, er schaffte mehr als zwei Kilometer. Für ihn war der Körper wie ein Motor, dessen Drehzahl ständig erhöht werden sollte. Leo Zimny war ein unwilliger Läufer, blieb weit hinter dieser Marke zurück, man hörte Leo schnaufen in der dämmrigen Stille des Waldes, und Alice rümpfte die Nase über seine Leistung. Aber wenn gemessen wurde, wer am meisten Kraft (in Watt) auf ein Ruderblatt brachte, war Leo Zimny der Sieger. Er hatte eine gewaltige Schnellkraft, seine Ruderführung und Körperhaltung waren tadellos, immer locker, sein Timing war perfekt. Im Boot konnte Leo ein Riese sein.
Alice Braun verlangte von den vier Männern alles, sie war streng, lobte aber auch, wenn sie den Fortschritt sah, die Bereitschaft, alles zu geben, das Letzte aus sich herauszupressen. Jeder von ihnen wurde ein Stück besser. Das Training im Wasser überwachte sie vom Boot aus; Alice saß im Heck, sie steuerte den Vierer fadengerade Richtung Ziel. Ihre Kommandos kamen präzise, sie behielt bei den Rennen den Gegner im Auge, und wenn sie mit lauten Rufen den Takt vorgab, legten sich die Männer in die Riemen. Alice Braun peitschte sie vorwärts, trieb sie bis zur Erschöpfung an. Das Boot übertraf sämtliche Erwartungen, erfüllte alle Hoffnungen, es wurde ein Siegerboot.
Der Vierer funktionierte nur kurze Zeit, für eine Saison. Alice Braun war der rastlose Mittelpunkt. Sie riss das Team mit. Unglücklich war sie in der Phase, als Leo gegen ihren Willen ausgebootet wurde, sie mochte ihn, obwohl er schwierig war. Brink hatte die Entscheidung getroffen, ohne sie weiter zu begründen. Elmar Brink finanzierte das Boot. Aber er war auch hinter Alice her. Leo bekam die Avancen natürlich mit. Genau besehen waren seine Wut, seine Eifersucht, der Jähzorn die Ursachen für die hirnrissige Verletzung, die er sich dann zuzog. Dabei hatte nach einer Trainingsfahrt, als sie auf dem Rasen vor dem Bootshaus die Muskulatur dehnten, alles mit der harmlosen Frage Elmars begonnen.
Weißt du, an wen du mich erinnerst?
Leo hatte ihn angeschaut, misstrauisch.
An Samson, sagte Elmar, an den Bibelhelden, Samson hatte dieselbe Mähne
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